Traditionen ändern sich
Im Mai startet in Westfalen-Lippe die Schützenfest-Saison. Zahlreiche Schützenvereine stehen vor großen Herausforderungen und passen ihre Feste an.
Die St.-Georgs-Schützenbruderschaft in Meschede hat einige lieb gewonnene Traditionen über Bord geworfen. „Wir haben unsere Festfolge verändert, um mehr Menschen zu ermöglichen, mitzufeiern“, sagt Andreas Wrede, seit 2018 Schützenhauptmann der St. Georgs‐ Schützenbruderschaft, die auf eine mehr als 500 Jahre dauernde Geschichte zurückblickt. Traditionell fand die Feier rund um Fronleichnam an vier Tagen statt. Doch nach Corona habe man festgestellt, dass die Gäste vorsichtiger geworden seien. Das erste Fest nach der Pandemie war weniger gut besucht, als man das in Meschede kannte. „Auch die Thekenmannschaft war geschrumpft. Um das Fest feiern zu können, mussten wir Kräfte zusätzlich finanzieren“, so Wrede.
Vor diesem Hintergrund hat sich der Verein entschieden, einen Festtag, den Mittwoch vor dem Fronleichnamsfeiertag, komplett zu streichen. „Da schmücken wir jetzt unsere Festhalle. Der Donnerstag ist im wesentlichen gleich geblieben. Am Freitag starten wir dann erst ab 16 Uhr, früher gingen die Festlichkeiten bereits um 9 Uhr los“, sagt Wrede. So sollen Berufstätige das Feiern oder Musizieren auf dem Fest besser mit ihrem Job vereinbaren können. Für die Abende hat die Schützenbruderschaft eine Art Schnupperkarte eingeführt. Wer nach wenigen Stunden das Fest wieder verlassen möchte, bekommt einen Teil des Eintritts zurück. So möchte man neuen Gästen ein Kennenlernen ermöglichen.
Veränderungen zeigen Wirkung
Die Veränderungen zeigten bereits im vergangenen Jahr Wirkung. Schützen und Gäste haben die neue Festfolge gut angenommen, berichtet Wrede. Und es gab noch einen weiteren Effekt: „Wir konnten im vergangenen Jahr die Kosten für unser Schützenfest deutlich senken, obwohl wir unter dem Strich nur auf wenige Feierstunden verzichten.“
Wie in Meschede machen sich die Schützen auch in anderen Orten Westfalen-Lippes Gedanken über die Zukunft ihrer Feiern. Die Corona-Zwangspause sei für viele Verantwortliche ein Anlass gewesen, über Routinen und Traditionen nachzudenken, erklärt Jonas Leineweber, von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn, der sich intensiv mit dem Schützenwesen befasst. Im Paderborner Raum etwa haben sich zahlreiche Vereine, die ursprünglich nur Männer als Mitglieder zugelassen haben, für Frauen geöffnet. Andere Vereine hätten ähnlich wie in Meschede ihre Festfolge verändert, weil sie festgestellt haben, dass es immer schwieriger werde, Musiker oder auch das Personal zu finden. Statt von Samstag bis Montag werde nun von Freitag bis Sonntag gefeiert.
Zuversicht und Veränderungswille
2024 ist erst das zweite Jahr komplett ohne Pandemieauflagen. Die Vereine sind im vergangenen Jahr zur Normalität zurückgekehrt. Vielerorts hätten sich die Besucherzahlen nahezu wieder auf dem Vor-Corona-Niveau eingependelt, so Leineweber. Nun stünden die Vereine aber vor der Frage, ob dies nur einem „Nachholeffekt“ geschuldet war, oder ob es tatsächlich ein Zurück zur Normalität gebe. Der Wissenschaftler hat festgestellt: „Die Vereine starten mit Zuversicht in die neue Saison, sie sind aber auch motiviert einiges anders zu machen.“
Eine der größten Herausforderungen, vor denen die Vereine stehen, ist aber die Suche nach Ehrenamtlichen. „Es fällt immer schwerer Freiwillige zu finden, die sich im Verein engagieren, vor allem in Vorstandspositionen“, so Wrede. Das liege zum einen an einer sich verändernden Gesellschaft, aber auch daran, dass für den Betrieb der Schützenhalle, die Feste oder die Sicherung der Umzüge immer neue Verordnungen beachtet werden müssten. „Das kann man im Ehrenamt kaum noch leisten“, so Wrede.
„Menschen im mittleren Alter motivieren“
Auch Kulturwissenschaftler Leineweber sieht die Gewinnung ehrenamtlicher Kräfte als größte zukünftige Herausforderung für die Vereine. „Wir sehen, dass sich vor allem die Generation 50 oder 60 plus in den Vereinen engagiert. Doch die große Gruppe der 35- bis 45-Jährigen wird kaum erreicht“, so Leineweber. Menschen im mittleren Alter zu motivieren und zu aktivieren, sei aber für die Vereine überlebenswichtig.
Jürgen Bröker