Prof. Dr. Thomas Großbölting, Historiker mit Wurzeln im Münsterland (1969-2025). Foto: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH)
13.02.2025

Trauer um Historiker

Prof. Dr. Thomas Großbölting ist am 11. Februar bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Bekannt wurde der Wissenschaftler als Leiter der Studie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Münster.

Großbölting starb im Alter von 55 Jahren bei einem schweren Zugunglück südlich von Hamburg. Er befand sich in einem ICE, der an einem Bahnübergang mit einem Sattelzug zusammengestoßen ist. 25 Menschen wurden bei dem Unfall verletzt. Für den Historiker kam die Hilfe zu spät. Er hinterlässt eine Frau und vier Kinder.

Von 2009 bis 2020 forschte und lehrte der in Bocholt aufgewachsene Historiker als Professor für Neuere und Neuste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Münster. Seitdem arbeitete er als Professor für Neuere Geschichte/ Zeitgeschichte an der Universität Hamburg und als Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg sowie als geschäftsführender Direktor der Akademie der Weltreligionen. Im Jahr 2022 hat Großbölting zusammen mit anderen Wissenschaftlern die Studie „Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945“ herausgegeben. Seit 2024 war er Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Bistum Münster und seit 2013 auch Mitglied der Historischen Kommission für Westfalen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL).

Missbrauchs-Studie im Auftrag des Bistums

Der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, würdigt den Verstorbenen: „Bei jeder Begegnung mit ihm spürte ich, wie sehr das, was Priester und andere Mitarbeitende der katholischen Kirche, Menschen durch sexuellen Missbrauch und seine Vertuschung angetan haben, ihn auch persönlich mitnahm, anrührte und zu Recht zornig machte. Er verlor beim Blick in die tiefsten Abgründe menschlichen Verhaltens zwar nie den Blick des Wissenschaftlers, machte es sich aber zugleich zu einer persönlichen Lebensaufgabe, sich mit unfassbar großem Engagement für die Betroffenen sexuellen Missbrauchs einzusetzen. Mit dem Tod von Prof. Thomas Großbölting haben die Betroffenen sexuellen Missbrauchs einen ihrer wichtigsten Fürsprecher verloren.“ Auch die Universität Hamburg trauert um einen „herausragenden Wissenschaftler und geschätzten Kollegen“, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Prof. Dr. Hauke Heekeren, Präsident der Universität Hamburg, schreibt: „Prof. Dr. Thomas Großbölting war eine prägende Persönlichkeit im Bereich der Neueren Geschichtswissenschaften. Sein Engagement für Forschung und Lehre war beispielhaft und inspirierte Studierende sowie Kolleginnen und Kollegen.“

Forschung über 68er-Bewegung

Großböltings Publikationen und seine Lehrtätigkeit umfassten verschiedenste Gebiete der deutschen und der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Zuletzt befasste er sich mit der Geschichte des religiösen Wandels im Nachkriegsdeutschland und mit den Ausprägungen der DDR-Erinnerung im wiedervereinigten Deutschland. Im Ardey Verlag in Münster ist 2017 sein Buch „1968 in Westfalen“ erschienen, in dem er die Entwicklungen der 68er-Proteste und ihre Folgen beschreibt.

Dem WESTFALENSPIEGEL gab der Wissenschaftler mehrere Interviews. Im Magazin 5/2017 erklärte er, warum die 1968er-Bewegung auch für die Region bedeutsam war: „Es gibt eine schöne Geschichte, die zeigt, was typisch ist für die Folgen von 1968 in Westfalen: Als Jürgen Habermas 1988 gefragt wird, was aus ›1968‹ geworden sei, antwortet er: Rita Süssmuth. Eine Frau, die eigentlich gar nichts mit dieser Protestbewegung zu tun hat, die aber als Bundesfamilienministerin in den 80er Jahren liberale Positionen vertritt, die in der CDU der 50er und Anfang der 60er Jahre völlig undenkbar gewesen wären. Daran sieht man, dass die Veränderungen nach 1968 sehr tiefgreifend sind, weil eine Liberalisierung einsetzt, die sich schon Anfang der 60er Jahre entwickelt, 1968 ihren Scheitelpunkt hat und in den 70er Jahren in die Familien kommt, in die Schulen, in den Alltag.“

In einem Interview zur Missbrauchsstudie, die er im Auftrag des Bistums Münster erstellt hatte, sagte er: „Die katholische Sexualmoral muss dringend auf den Prüfstand. Sexualität wird tabuisiert und gleichzeitig wird doch immer wieder darüber gesprochen – zum Beispiel auch in Beichtgesprächen. Die im Katholischen propagierte Haltung zur Sexualität ist nicht menschenfreundlich. Außerdem führt die Rollenverteilung in der katholischen Kirche zu Machtkonzentration Einzelner, die zu hoher Intransparenz und zu vielen Fehlentscheidungen führen kann.“

Martin Zehren/wsp

Ein Interview zur Missbrauchsstudie mit Prof. Dr. Thomas Großbölting aus dem Jahr 2021 lesen Sie hier.

 

 

 

 

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