Die wichtigste Einkaufsmeile: die Kortumstraße (Aufnahme von September 2019) Foto: Stadt Bochum/Lutz Leitmann
10.06.2021

Trotzig aufgerappelt

Eine Weltstadt war Bochum nie, aber Lebens- und liebenswert. Nun wird Bochum 700 Jahre alt – und präsentiert sich als Stadt im Aufbruch.

„Wissen, Wandel, Wir-Gefühl“. So lautet der Versuch der Stadt Bochum, die Komplexität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einen Punkt zu bringen – in der so genannten „Bochum-Strategie“ auf dem Weg ins Jahr 2030. Dabei hätte man es 2021, im Jahr, in dem die 16. größte Stadt Deutschlands 700 Jahre alt wird, noch einfacher haben können mit einem Wort: „Trotzdem“. In Bochum ist es trotzdem schön, trotzdem grün, trotzdem lebenswert – und es gibt sogar trotzdem zukunftssichere Arbeitsplätze.

Einer der Orte, an denen sich die manchmal verwirrende Geschichte Bochums manifestiert, ist die Burg Blankenstein. Sie gehört heute zwar geographisch zur Stadt Hattingen, aber der fantastische Blick vom Turm geht über die Ruhr auf das Gebiet der Stadt Bochum, in deren Besitz die Burg seit 1922 ist. Hier wurden 1321 mit einer Urkunde von Graf Engelbert II. von der Mark die Marktrechte an Bochum übergeben. „Dieses Datum wird als Stadtwerdung gefeiert. Offiziell steht in der Urkunde allerdings nichts von einer Stadt. Es ist nicht überliefert, ob es damals schon einen Bürgermeister oder Stadtrat gab“, sagt der Historiker Dietmar Bleidick, der unter anderem die „Bochumer Zeitpunkte. Beiträge zur Stadtgeschichte, Heimatkunde und Denkmalpflege“ herausgibt.

Wissens- und Kulturstadt

Offizielle Erwähnung fand Bochum als Ortschaft schon über 500 Jahre früher. Ungefähr dort, wo heute die Autobahn A 40 brummt, verlief früher der Hellweg als wichtige Handelsstraße, und Karl der Große ließ wohl um das Jahr 800 einen Reichshof anlegen, wo heute die Propsteikirche steht und wo besonders Mutige die Bochumer „Altstadt“ verorten. Bis auf ein kleine Handvoll historischer Gebäude wie dem Brauhaus Rietkötter und einer kurzen Pflastersteinstraße ist dort nämlich nichts zu finden, was solch einen Begriff rechtfertigen würde.

Der Audimax an der Ruhr-Universität Bochum. Foto: RUB

Der Audimax an der Ruhr-Universität Bochum. Foto: RUB

Andererseits entspricht die geringe Größe der Altstadt der Bedeutung Bochums in seiner Frühgeschichte: Zwischen der Stiftsstadt Essen und der freien Handelsstadt Dortmund war Bochum, das heute mit großer Universität und legendärem Schauspielhaus einen überregionalen Ruf als Wissens- und Kulturstadt hat, ein relativ unbedeutender Flecken. Eine eher bäuerlich geprägte Ansammlung von Häusern und Höfen, wie es sie überall im Umland gab.

Der Standort der Burg Blankenstein, von der damals mit den Marktrechten auch mehr Verkehr und Austausch und damit überregionale Bedeutung für Bochum ausging, steht auch für die wechselvolle Entwicklung des Stadtraums. „Der Landkreis Bochum war im 19. Jahrhundert erheblich größer als das heutige Stadtgebiet“, sagt Historiker Dietmar Bleidick, „auch Teile von Herne, Witten, Wuppertal oder Hattingen gehörten dazu.“ Die eigentliche Stadt war klein, zog sich nur vom heutigen Stadion im Osten bis zum Bochumer Verein im Westen und vom Stadtpark im Norden bis zum Ehrenfeld im Süden. Erst Eingemeindungen und der rasante Zuzug durch die Industrialisierung ab Ende des 19. Jahrhunderts machten Bochum zu einer mächtigen Großstadt mit zwischenzeitlich über 400.000 Einwohnern.

Ende und Neubeginn

Bis heute macht Bochum die „Sandwich-Lage“ zwischen den größeren Städten Dortmund und Essen zu schaffen, sie muss sich ständig behaupten, eine Identität schärfen. Wie die Stadt das trotzdem schafft, kann man im Jubiläumsjahr besonders deutlich an einem Ort ablesen: am Gelände, das heute nach seinen Koordinaten „Mark 51°7“ genannt wird und in der Bevölkerung vor allem als das ehemalige Opel-Gelände bekannt ist. Ende 2014 verließ der Autobauer die Stadt, der dort in Hoch-Zeiten für rund 23.000 Arbeitsplätze gesorgt hatte. Am Ende waren es noch zwischen 2000 und 3000 und viele sahen den Niedergang der Stadt nun endgültig besiegelt. Aber Bochum war trotzig, hat sich aufgerappelt, gezeigt, dass es nicht nur Industriegeschichte ist.

Entwicklungsgebiet MARK 51°7 auf den Flächen des ehemaligen Adam Opel AG Werkes. Foto: Stadt Bochum/Lutz Leitmann

Entwicklungsgebiet MARK 51°7 auf den Flächen des ehemaligen Adam Opel AG Werkes. Foto: Stadt Bochum/Lutz Leitmann

„Wissen, Wandel, Wir-Gefühl“ verlautbart das Stadtmarketing als Ergebnis der Identitätssuche. Dass Bochum seit jeher eine Wissensstadt war, suggeriert das Buch im Wappen. Die Annahme, dass der Name Bochum etwas mit dem Wort „Buch“ zu tun hat, ist allerdings falsch. Es ist der Baum Buche, auf den er sich bezieht. Erst 1962, mit Gründung der Ruhr-Universität, der ersten Universitätsneugründung der noch jungen Bundesrepublik, wurde Bochum wirklich zur Wissensstadt. „Im Prinzip gab es vorher im gesamten Ruhrgebiet kaum nennenswerte höhere Bildungsstätten“, sagt Dietmar Bleidick. „Hier wurde malocht, und wahrscheinlich bestand kein besonders großes Interesse daran, die Bevölkerung zu bilden.“

Als Bochum von den Zechenschließungen schon früh massiv betroffen war – 1973 schloss mit der Zeche Hannover die letzte auf dem Stadtgebiet – kam die Universität wie gerufen. Heute verfügt die Stadt über sieben Hochschulen und weit über 50000 Studierende. Und auch das Gelände Mark 51°7, auf dem bis 1958 eine Zeche stand und wo Opel ab 1962 Autos baute, wird jetzt auf Wissen und Innovation gesetzt – also auf Wandel. Der größte Arbeitgeber ist bisher zwar ein DHL-Logistikzentrum, dicht daneben siedeln sich technologieorientierte Unternehmen, Start-ups und Forschungsinstitute an.

„Keine Weltstadt“ aber lebenswert

In das „O-Werk“, die ehemalige Opel-Verwaltung, das denkmalgeschützte, einzige Gebäude, das heute noch an den Autobauer erinnert, wird etwa die Ruhr-Universität ziehen. Sie will dort Studierenden praxisnahe Lehre, anwendungsorientierte Forschung und konkrete Hilfe für Aus- und Neugründungen von Unternehmen bieten. Bis 2024 rechnet die „Bochum Perspektive 2022 GmbH“, die das Gelände vermarktet (und offenbar über das Jahr 2022 hinaus denkt) mit 6000 Arbeitsplätzen, die dort entstehen – also mehr als doppelt so viele wie Opel zuletzt anbieten konnte.

Und was ist eigentlich mit dem Wir-Gefühl? Das ziehen die Bochumer auch im Jubiläumsjahr vor allem aus einem 35 Jahre alten Song: „Bochum“ von Herbert Grönemeyer. Auch, wenn die Sonne dort nicht mehr wie im Liedtext „verstaubt“ oder die Stadt von einem „Pulsschlag aus Stahl“ getrieben wird: „Keine Weltstadt“ ist sie weiterhin. Und trotzdem lebens- und liebenswert.

Max Florian Kühlem

Jubiläumsfeier
Die eigentlich für diese Woche (8. bis 13. Juni) geplante Festwoche ist coronabedingt auf September verschoben worden: Zwischen dem 15. und dem 19. September stehen dann die Show „Best of Bochum“ am Mittwoch im Musikforum, der „Werk.Stadt.Tag.“ am Donnerstag, das Mittelalterfest am Freitag und das StadtPicknick am Sonntag auf dem Programm. Am Samstag findet darüber hinaus der Tag des offenen Rathauses statt.
Alle weiteren Informationen gibt es hier

Dieser Beitrag stammt aus Heft 1/2021 mit dem Schwerpunkt Ruhrgebiet. 

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