Prof. Dr. Malte Thießen leitet das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte in Münster. Foto: LWL/Nolte
28.03.2023

„Namensgeber haben Vorbildcharakter“

Der Senat der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) in Münster streicht Wilhelm II. aus dem Namen. Wieso, erklärt der Historiker Malte Thießen.

In einer Probeabstimmung Ende Januar votierte der Senat der WWU für die Bezeichnung „Universität Münster“. Die Hochschule, deren Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, wurde 1907 nach dem letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. benannt, in dessen Regierungszeit die damalige Königliche Akademie wieder zur Universität erhoben wurde. Der Historiker Prof. Dr. Malte Thießen, Leiter des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte, hat die Debatte an der WWU verfolgt.

Herr Prof. Thießen, Wilhelm II. im Namen der WWU Münster ist schon seit Jahrzehnten umstritten. Warum erfolgt jetzt die Umbenennung?
Schon in den 1990er Jahren gab es an der WWU eine ähnliche Debatte. 1997 kam eine Kommission zu dem Ergebnis, dass Wilhelm II. ein problematischer Namensgeber sei wegen seines Nationalismus und Militarismus. Eine Tilgung des Namens wurde jedoch als unhistorisch wahrgenommen. Damals wollte man umstrittene Namen häufig als Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition nehmen – auch um potenziellen Vorwürfen entgegenzutreten, man mache es sich mit der Vergangenheit zu einfach. Der Name WWU wurde daher beibehalten.
Heute spielen in der Debatte auch Wilhelms Antisemitismus und der Kolonialismus eine große Rolle. Und das Problembewusstsein ist ein anderes: Man bemisst einen Namen nicht mehr nur daran, ob er einen historisch bedeutsamen Bezug hat und eingeordnet werden kann, sondern ob er unsere heutigen Werte vertritt. Namen werden heute mehr denn je als Ehrung angesehen. Sie sollen auch für die Gegenwart einen Vorbildcharakter haben. Und das macht Wilhelm nun zu einem Problem.

Gibt es weitere Beispiele für Hochschulen, an denen der eigene Name zur Diskussion steht?
Umbenennungen von Hochschulen sind eher selten. Es gibt aus der jüngeren Vergangenheit zwei bekannte Beispiele: Die Universität Greifswald hat 2018 den Namen Ernst Moritz Arndt abgelegt wegen dessen antisemitischer Haltung. Und an der Eberhard Karls Universität Tübingen gab es eine ähnliche Debatte wie an der WWU: Sie ist nach zwei württembergischen Herrschern benannt. Auch bei denen spielte Militarismus eine Rolle und Antisemitismus, aber nicht so obsessiv wie bei Wilhelm II. Das sieht der Senat in Tübingen kritisch, aber dies wiegt für ihn nicht ganz so schwer, weil die beiden Herrscher als Stifter der Universität und als Förderer des Wissenschaftsstandorts Tübingen große Leistungen – übrigens größere Leistungen als Wilhelm II. – erbracht haben. Deshalb ist dort die Entscheidung für die Beibehaltung des Namens gefallen.


Einige Westfälische Einrichtungen und Initiativen wollen das „Westfälisch“ im Namen der Universität erhalten. Sie haben dem Senat einen Brandbrief geschrieben. Mehr dazu lesen Sie hier.


Das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte forscht seit vielen Jahren zu Straßen und Plätzen, die an umstrittene Personen der deutschen Geschichte erinnern. Warum entzünden sich an manchen Namen heftige Debatten?
Namen sind nicht nur Namen, sondern stehen auch für andere Dinge. Sie sind Ankerpunkte von Identitätsstiftung und Heimatverständnis. Bestimmte Namen stehen für einige Menschen für eine „gute alte Zeit“. Und es gibt umstrittene Namensgeber, die einen ganz starken Heimatbezug haben, Heimatdichterinnen – und dichter zum Beispiel oder Maler, die besonders identitätsstiftend sind und an die eigene Lebenswelt rühren. Diese werden oft als nicht so problematisch gesehen, selbst wenn sie NS-Verstrickungen hatten und man ihnen starke antisemitische Tendenzen nachweisen kann.

Wann sind aus Ihrer Sicht als Historiker Umbenennungen ratsam?
Die Historiker der Kommission der WWU haben sehr klug genau das gemacht, was Historiker können: Sie haben vergangene Entwicklungen untersucht und eingeordnet und eine Expertise erstellt. Damit bieten sie eine Entscheidungsgrundlage für den Senat der Universität. Bei dem Beschluss geht es ja nicht allein um Geschichte, sondern um Gegenwart. Wir müssen heute festlegen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Geschichte ist immer ein Aushandlungsprozess, weil wir immer wieder mit neuen Interessen auf die Geschichte zurückblicken. Wir werden daher immer wieder solche Debatten führen. Und dafür liefert die Kommission eine hervorragende Grundlage.

Interview: Martin Zehren

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