Wo früher Autos parkten, ist nun ein Treffpunkt mit Sitzgruppe: Die Hörsterstraße in Münster. Foto: Ralf Emmerich, Stadt Münster
05.08.2021

„Versuch und Irrtum“

Durch die Hörsterstraße in Münster fährt nicht mehr der Bus, sondern die Fahrrad-Rikscha. Die Straße ist für den motorisierten Verkehr teilweise gesperrt. Fußgänger und Radfahrer haben dort nun mehr Platz und auf den Parkplätzen stehen Sitzgruppen. Doch aller Idylle zum Trotz: der Verkehrsversuch ist umstritten.

„Zukunft gestalten, Innenstadt stärken“: Unter dieser Überschrift werden von Anfang August bis Ende September in Münster neue Verkehrsregelungen erprobt: An der Promenade wurden Vorfahrtsregeln zugunsten von Radfahrern geändert und an einer zentralen Verkehrsader vor dem Hauptbahnhof gibt es nun eine durchgehende Busspur, sodass der ÖPNV Vorfahrt hat. Begrünte und gesperrte Parkplätze sollen mehr Aufenthaltsqualität am Bült, einem großen Umsteigepunkt, bieten. Dort starten auch die Fahrrad-Rikschas, die Menschen mit Gehbehinderung zur neuen Bushaltestelle bringen. Besonders groß ist die Nachfrage an dem Shuttle-Service jedoch nicht, zeigt der erste Eindruck.

Umsatzeinbußen durch Stau?

Gestritten wird in Münster aber vor allem über die zusätzliche Busspur am Hauptbahnhof. Die fehlt dort nun nämlich dem PKW-Verkehr. Hoteliers und Händler im Bahnhofsviertel befürchten, dass Staus zu Umsatzeinbußen führen könnten. Nach den pandemiebedingten Einschränkungen der vergangenen Monate würden ihre Geschäfte durch den Verkehrsversuch nun erneut erschwert, heißt es kritisch von Seiten der IHK Nord Westfalen zum Verkehrsversuch. „Nach dem Lockdown kommt für die Gewerbetreibenden am Hauptbahnhof der Stau“, so IHK-Vizepräsident Fabian Roberg. Die Stadt berichtet nach den ersten Tagen hingegen von einer „zunehmenden Entspannung der Verkehrslage“. Die Autofahrer hätten sich auf die Veränderung eingestellt.

Grüner Parkplatz: Auch am Belt in Münster wurde umgestaltet. Stadt Münster / Ralf Emmerich

Grüner Parkplatz: Auch am Bült in Münster wurde umgestaltet. Foto: Stadt Münster / Ralf Emmerich

Neue Verkehrslösungen werden zurzeit auch in Bielefeld getestet. Dort sind Teile der Altstadt seit Anfang Juni für Autos gesperrt; bis Februar 2022 soll der Versuch für mehr „Piazza-Feeling in der Bielefelder Altstadt“ laufen. Im Vorfeld veranstaltete die Stadt Workshops und Diskussionen mit Anwohnern und Geschäftsleuten. Kritik gab es trotzdem. So sprach die IHK Bielefeld von einem „riskanten Versuch“. Das Weihnachtsgeschäft der Altstadtkaufleute sei in Gefahr, wenn Kunden die Läden dort nicht mehr ohne weiteres erreichen könnten, hieß es aus der Wirtschaft. 

Olaf Lewald, Leiter des Amtes für Verkehr der Stadt Bielefeld, berichtet, dass sich nach den ersten Wochen in der autofreien Altstadt manche Gewohnheiten verändert haben. „Die Anzahl der Parkplätze im öffentlichen Straßenraum für Anwohnerinnen und Anwohner wurde reduziert. Dies sorgte für Kritik. Auch die weiteren Wege mit dem Kraftfahrzeug aufgrund der Unterbindung der Durchfahrt durch die Altstadt wird von einigen kritisch gesehen. Da jedoch alle Parkhäuser sowie die Parkplätze auf den Privatgrundstücken weiterhin mit dem Auto erreichbar sind, ist die Kritik mittlerweile nicht mehr so stark. Ebenfalls als schwierig wurde die veränderte Situation und die fehlenden Kfz-Abstellmöglichkeiten von Handwerksbetrieben eingeschätzt. Mittlerweile arrangieren sich diese, offene Kritik wird nicht mehr geäußert.“

Kleine Straße, viel Verkehr: Die Hörsterstraße in Münster ist nun für Busse und PKW gesperrt – eine umstrittene Entscheidung. Foto: Stadt Münster / Ralf Emmerich

Die Hörsterstraße vor dem Verkehrsversuch. Autos und Busse stauten sich regelmäßig auf der Fahrbahn. Foto: Stadt Münster / Ralf Emmerich

Mehr Klimaschutz und mehr Raum für Radfahrer und Fußgänger werden in Münster wie auch in Bielefeld von allen Seiten befürwortet, Einschränkungen für Autofahrer sorgen aber für Kritik.

„Häufig sind Diskussionen über den Autoverkehr oder auch Parkplätze politisch stark aufgeladen“, beobachtet auch der Verkehrswissenschaftler Prof. Christian Holz-Rau von der Fakultät für Raumplanung an der TU Dortmund. „Hier muss man deutlich machen, dass es nicht darum geht, das Auto zu verbieten. Sondern es geht darum, Radfahren und Gehen sicherer zu machen, mehr Aufenthaltsqualität zu schaffen und auch Lärm zu reduzieren.“ Der Verkehrsforscher erinnert daran, dass schon vor einigen Jahrzehnten Fußgängerzonen und Spielstraßen eingeführt wurden „Bereits damals wurde darüber gestritten. Wo diese Zonen realisiert wurden, gab es aber langfristig meist viel Zustimmung.“

Holz-Rau befürwortet zeitlich begrenzte Versuche, so wie sie in Münster oder Bielefeld laufen. Endgültige Lösungen gebe es in der Stadtplanung ohnehin nicht, gibt der Wissenschaftler zu bedenken: „Städte haben sich schon immer durch das Prinzip von Versuch und Irrtum entwickelt.“

Annette Kiehl, wsp

Ein Interview zum Thema mit dem Dortmunder Verkehrsforscher Prof. Christian Holz-Rau lesen Sie hier.

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