14.02.2023

„Vertuscht, klein geredet, verheimlicht“

Im Bistum Essen hat es seit seiner Gründung im Jahr 1958 bis heute mehr als 420 Fälle sexualisierter Gewalt gegeben. Bischof Overbeck verurteilt die Taten und die mangelnde Unterstützung für Betroffene.

Mehr als 200 Männer und Frauen, darunter 129 Geistliche und 19 Ordensfrauen, seien beschuldigt, die Taten begangen zu haben, heißt es in einer vom Bistum Essen beauftragten Studie des Münchener Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP).

„Die sozialwissenschaftliche Studie, die uns das Institut für Praxisforschung und Projektberatung heute vorgestellt hat, zeigt auf bedrückende Weise, wie sehr die Strukturen unseres Bistums sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten begünstigt haben“, sagte Franz-Josef Overbeck, Bischof des Bistums Essen. Die „abscheulichen Taten von Priestern“ seien vertuscht, klein geredet oder durch Versetzungen und Lügen verheimlicht worden. „Dadurch wurde den vielen Betroffenen großes Unrecht angetan. Zudem wurde vielfach auch nicht verhindert, dass sich diese Täter weitere Opfer suchen konnten.“

Der Bischof des „Ruhrbistums“: Franz-Josef Overbeck. Foto: Nicole Cronauge/Bistum Essen

Der Bischof des „Ruhrbistums“: Franz-Josef Overbeck. Foto: Nicole Cronauge/Bistum Essen

Das IPP kritisierte den Umgang des Bistums mit Missbrauchsfällen bis ins Jahr 2010 mit deutlichen Worten: „Der Umgang des Bistums Essen mit beschuldigten Klerikern beschränkte sich über Jahrzehnte hinweg im Wesentlichen auf die Versetzung in andere Dienststellen, teilweise auch über die Bistumsgrenzen hinaus. Es sind bis 2010 keine Bemühungen seitens des Bistums erkennbar, Betroffene von sexualisierter Gewalt zu unterstützen oder zu begleiten. Sie wurden mit der Bewältigung ihrer Erfahrungen allein gelassen und waren (wie ihre Familien) häufig den Anfeindungen innerhalb ihrer Kirchengemeinden schutzlos ausgeliefert.“

Kritik an Münsters Bischof Genn wächst

Durch die Studie wächst auch die Kritik am heutigen Bischof von Münster, Felix Genn. Dieser war in den Jahren 2003 bis 2009 in Essen verantwortlich. Er habe sich nicht ausreichend um Aufklärung und Information über ehemalige Sexualstraftäter im Bistum Essen informiert, heißt es etwa. Auch wird ein Brief von Genn an die Familie eines zwölfjährigen Mädchens zitiert, das von einem Priester sexuell missbraucht wurde. Darin heißt es, er (Anm. d. Red.: Bischof Genn) hoffe ihre Familie könne die eigenen „möglicherweise kleinen oder größeren Anteile am Zustandekommen der unguten Situation sehen und sich damit kritisch auseinandersetzen und dass Sie selbst auch Wege der Versöhnung suchen und gehen“. Genn kann sich aktuell zur Kritik nicht äußern, er befindet sich auf einer Afrika-Reise.

Zukunft Kirche

Unser Dossier zum Thema: Kirche in der Krise.

Das Münchener Institut hat drei Jahre lang in Kooperation mit dem Berliner Institut für Bildung und Forschung Personal- und Geheimakten des Bistums ausgewertet. Außerdem sprach es mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt und kam mit den Gemeinden ins Gespräch, in denen Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt geworden sind. Eine weitere Erkenntnis der Studie: Nahezu durchgängig sei es zu Spaltungen in den Kirchengemeinden gekommen. Ein großer Teil der Pfarrgemeinde habe sich mit dem Pfarrer solidarisiert, wenn der Vorwurf der sexualisierten Gewalt gegen ihn erhoben wurde, während ein anderer oft sehr kleiner Kreis um die Betroffenen wie z.B. die direkten Familienangehörigen sozial ausgegrenzt wurde.

Entwicklung in Essen positiv

Positiv bewertete das IPP die Entwicklungen im Bistum Essen. So seien etablierte Strukturen immer wieder verändert worden, um eine bessere Prävention zu ermöglichen: „Das Bistum Essen selbst wurde als ,kulturbildende’ Organisation zur Disposition gestellt, das sowohl Risikobedingungen für sexualisierte Gewalt als auch präventive Potenziale hervorbringt. Die Präventionsarbeit ist von einem hohen Engagement gekennzeichnet, v.a. im Bereich von Schulungen und in Bezug auf die Entwicklung institutioneller Schutzkonzepte.“

Das sogenannte „Ruhrbistum“, das sich über Teile des Ruhrgebiets und Sauerlands erstreckt, ist das flächenmäßig kleinste Bistum in Deutschland. Dort leben aber knapp 2,5 Millionen Menschen, etwas mehr als 700.000 von ihnen sind Katholiken.

jüb/wsp

Lesen Sie auch im Bereich "Gesellschaft"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin