Spielhallen waren in der Pandemie über einige Monate geschlossen. Foto: pixabay
28.06.2021

„Vielen Patienten ging es schlecht“

Wetten auf das nächste Fußballspiel, Zocken am Automaten oder Online-Roulette: Mit dem Start der Fußball-EM und den zunehmenden Lockerungen für Spielhallen sind wieder mehr Glücksspiele möglich. Dae-In Chang ist Oberarzt in der Abteilung für Suchtmedizin am LWL-Universitätsklinikum in Bochum. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL spricht er über die Sucht nach dem Spiel und die Erfahrungen aus dem Lockdown.

Herr Chang, die Fußball-EM ist in vollem Gange. Eine schwierige Zeit für Abhängige von Sportwetten?
Es gibt tatsächlich immer mehr Menschen, die süchtig nach Sportwetten sind. Für sie spielt es aber meist keine große Rolle, ob Europameisterschaft ist oder nicht. Wenn das Wetten pathologisch, also krankhaft wird, dann geht es nicht mehr um die Sportart, sondern um die Wette an sich. Hier wird zum Beispiel auch auf Badminton oder Hunderennen in allen möglichen Ländern gewettet.

Mit einer Fußballleidenschaft hat das also nichts zu tun?
Es gibt sicherlich Fans, bei denen sich das Hobby im Verlauf verselbstständigt. Aus dem gelegentlichen Wetten und einem vielleicht problematischen Verhalten kann sich dann ein krankhaftes Spiel entwickeln. In solchen Situationen ist es wichtig, sich frühzeitig Hilfe zu suchen und aktiv zu werden, bevor es durch die Wetten zu einer Verschuldung kommt oder sogar die berufliche oder familiäre Existenz in Gefahr ist.

Dae-In Chang leitet die Sprechstunde für Glücksspielsüchtige am LWL-Universitätsklinikum in Bochum. Foto: privat

Dae-In Chang leitet die Sprechstunde für Glücksspielsüchtige am LWL-Universitätsklinikum in Bochum. Foto: privat

Wo können sich Betroffene Unterstützung holen?
Es gibt heute Beratungsstellen in zahlreichen Städten, spezialisierte psychiatrische und psychotherapeutische Therapeuten und eben auch die Spezialsprechstunde für Glücksspielsucht am LWL-Universitätsklinikum in Bochum. Das Problem ist eher, dass Betroffene häufig warten, bis der Leidensdruck sehr groß ist. Wenn Sie zu uns in die Sprechstunde kommen, gibt es in vielen Fällen schon Spielschulden und weitere Probleme.

Wettbüros und auch Spielhallen waren in der Lockdown-Zeit lange geschlossen. Sind die Spieler in dieser Zeit ins Internet ausgewichen?
Anders als man es vielleicht erwarten könnte, war das bei vielen Patienten in unserer Ambulanz nicht der Fall. Die Schließung der Spielhallen war für viele Betroffene ein Segen, weil sie nicht spielen konnten. Jedoch ging es vielen auch schlechter. Depressionen, die häufig mit einer Glücksspielsucht einhergehen, haben sich verstärkt. Vielleicht, weil Betroffene nicht mehr über das Spiel bestimmte Gefühlszustände ausgleichen konnten. Außerdem fielen im Lockdown auch viele andere Aktivitäten weg, die einen Ausgleich bieten können, wie zum Beispiel Sportangebote und soziale Kontakte. Es gibt aber auch Patienten, die in dieser Situation gute alternative Strategien entwickelt und profitiert haben. Nun gibt es natürlich die Sorge, dass mit der Öffnung der Spielhallen die Suchtgefahr wieder zunimmt.

Im Lockdown konnten Sie Ihre Patienten teilweise nur telefonisch oder per Videokonferenz beraten und begleiten. Mit welchen Erfahrungen?
Einige Therapieangebote, zum Beispiel Gespräche in unserer ambulanten Therapiegruppe, haben eindeutig gefehlt. In anderen Situationen haben wir die Möglichkeit, telefonisch oder per Video mit den Patienten Kontakt halten zu können, als gute Ergänzung zu persönlichen Treffen erlebt. Ich hoffe, dass wir solche Angebote als ein Bestandteil der Beratung und Therapie weiter nutzen können.

Interview: Annette Kiehl, wsp

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