Karnevalskult im Ruhrpott
Martin Kaysh moderiert seit mehr als zwei Jahrzehnten den Dortmunder „Geierabend“. Das Finale der Session wird am Faschingsdienstag gefeiert.
Bei der „Extraschicht“-Nacht der Industriekultur trat Martin Kaysh einmal am Schiffshebewerk Henrichenburg auf. Verkleidet als Matrose. „Hallo Steiger!“, hätten ihm die Besucher da trotz des maritimen Outfits zugerufen, erinnert er sich. „Und selbst im Schweinekostüm wurde ich als Steiger erkannt“, sagt Kaysh und kalauert: „Würden die Leute doch wenigstens ‚Schweinsteiger‘ sagen!“ Kein Zweifel – mit dem Vorarbeiter im Bergwerk hat er die Rolle seines Lebens gefunden. Der Recklinghäuser ist einer der bekanntesten Köpfe im Dortmunder Alternativkarneval „Geierabend“; seit mehr als 20 Jahren moderiert er die Show im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in der Rolle des „Steigers“. Sein Arbeitsplatz ist eine Kohlenlore, die in der Ecke der Bühne steht. Von dort aus kommentiert und dirigiert Kaysh die Szenen, eine Mischung aus Kabarett, Musik und Comedy. Er albert mit dem Publikum und lässt zum Szenenapplaus „den Geier fliegen“. Dann trommeln die Zuschauer mit den Fingern auf die Biertische, recken die Hände in die Luft und applaudieren begeistert.
Kult im Ruhrpott
Der „Geierabend“ ist in Dortmund Kult. Einmal im Jahr werden dort die Themen des Jahres mit Spott und einer großen Portion Lokalkolorit aufgespießt. In der laufenden Session gibt es ein „Grill“-Musical, außerdem wird wieder der „Pannekopp des Jahres“ ausgelobt. Kandidaten für den Stahlschrott-Orden 2023 sind die Brüder Bill und Tom Kaulitz sowie Claudia Roth. Während sich die Musiker durch eine Lästerei über Dortmunder Architektur für den Anti-Orden qualifizierten, geht es bei der Kulturstaatsministerin um ihre umstrittene Entscheidung, das Deutsche Fotoinstitut in Düsseldorf statt in Essen anzusiedeln. Der „Steiger“ und die „Geier“ können also nicht nur Quatsch, sondern schauen auch der Politik auf die Finger. Das passt zu Martin Kaysh. Er kommt aus dem Journalismus, produzierte schon als Kind kleine Reportagen für den WDR und arbeitete später als Lokaljournalist. Er schrieb Glossen für das WDR-Politmagazin „Monitor“ und für die SPD-Zeitschrift „Vorwärts“, außerdem bespielt er den Podcast „Wir und heute“ mit dem Investigativ-Journalisten David Schraven. Das Kabarett ist für Kaysh eine Fortsetzung des Journalismus mit anderen Mitteln.
In der ersten Session nach zwei Jahren Corona-Pause ist im „Geierabend“ manches neu. Neben dem „Steiger“ und Roman Marczewski, der seit der Premiere der Show 1992 als Sitzungs-Präsident („Präsi“) mit roter ausgestopfter Strumpfhose auf dem Kopf und blauem Umhang auftritt, gibt es einige neue Gesichter auf und hinter der Bühne. Mit frischem Elan will man das Publikum, das früher Jahr für Jahr verlässlich zum „Geierabend“ pilgerte, zurückgewinnen. „Das ist brutal anstrengend, aber es macht mir auch Spaß. Im liebe die direkte Ansprache der Zuschauer, den Kontakt mit den Menschen. Wir haben hier ein echtes Gemeinschaftserlebnis“, erzählt Kaysh.
„Ich bin nur der Pausenfüller“
„Den ham wa uns verdient“, lautet denn auch im besten Ruhrpott-Deutsch das Motto der diesjährigen Show. Das Ruhrgebiet und seine Typen mit Herz und Schnauze stehen im Mittelpunkt. Für Martin Kaysh ein Heimspiel. Seine Großväter seien noch Bergmänner gewesen („einer davon auch Komiker!“), er selbst wurde schon als „Ehrenhauer“ ausgezeichnet. Seine Rolle im „Geierabend“ sieht er dennoch mit einer guten Portion Selbstironie: „Man denkt vielleicht, ich wäre dort der Chef, aber eigentlich bin ich nur der Pausenfüller.“
Annette Kiehl, wsp
Der „Geierabend“ läuft bis Faschingsdienstag, 21. Februar 2023, auf Zeche Zollern in Dortmund. Für einige Shows gibt es noch Tickets unter https://www.geierabend.de/.
Dieser Artikel ist im WESTFALENSPIEGEL 1/2023 erschienen.