Weißer Winter dank Schneekanonen im Sauerland. Foto: Wintersport-Arena Sauerland/ Siegerland-Wittgenstein e. V.
02.10.2019

„Wir haben Wetter“

Der Klimawandel gefährdet den Wintersporttourismus in Südwestfalen. Neue Konzepte setzen auf Ganzjahrestourismus. Ein Artikel aus dem WESTFALENSPIEGEL 6/2016.

Im Wintersport Museum Neuastenberg scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Im „ersten Fremdenzimmer 1907“ ersetzen noch Tonkrug und Keramikschüssel den Anschluss für Fließend-Wasser, und im „ersten Ski-Verleih 1933“ erinnern die wuchtigen Skistöcke eher an Baumstämme als an Sportgeräte. Skifahren – das macht der Besuch dieser Ausstellung deutlich – hat im Sauerland eine lange Tradition. Bis ins Jahr 1906, so ist zu erfahren, reicht die Geschichte des Wintersporttourismus in Südwestfalen zurück. Wie lange sie noch fortgeschrieben werden kann, weiß allerdings niemand so genau.

Der Klimawandel, so viel ist klar, zieht einen weltweiten Erwärmungstrend nach sich, der auch das Sauerland betrifft. Laut dem jüngsten Bericht des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat sich die durchschnittliche Jahresmitteltemperatur in NRW seit 1881 um 1,4 Grad erhöht. Parallel dazu ist die Anzahl der Schneetage am Kahlen Asten in den vergangenen 60 Jahren um 25 Tage zurückgegangen. Steht der Wintersporttourismus in Südwestfalen also vor dem Aus?

„Dass sich die Erde in den nächsten Jahren weiter erwärmen wird, ist sehr sehr wahrscheinlich. Was das aber für den Wintersport im Sauerland bedeutet, lässt sich nur schwer vorhersehen“, sagt Julian Pape, Projektleiter bei der „Wintersport-Arena Sauerland“. Unter diesem Namen haben sich über 50 Skigebiete rund um Winterberg zusammengetan, die als „das größte Schneevergnügen nördlich der Alpen“ vermarktet werden. Ein Vergnügen, das an diesem grauen Herbsttag mit Nieselregen nur schwer zu erahnen ist.

„Winter kommt mal früher, mal später“

Dort, wo sich in einer guten Saison bis zu einer Millionen Skifahrer, Snowboarder und andere Wintergäste auf Pisten und Loipen tummeln, baumeln nun leere Sessellifte über grün-braunen Wiesen. Ein Szenario, das in Zeiten des Klimawandels zukünftig auch die Wintermonate prägen wird? Michael Beckmann winkt ab: „Ich gehe davon aus, dass Wintersport im Sauerland über das Jahr 2030 hinaus möglich sein wird“, sagt der Geschäftsführer der Wintersport-Arena. Der Klimawandel sei ein schleichender Prozess. Und überhaupt: „Wir haben Wetter. Und wir haben Wetterphänomene. Mal kommt der Winter früher, mal später. Das sind Blicke in eine Glaskugel, die man nicht seriös angehen kann.“

Eine Aussage, die auch Professor Christoph Schneider teilweise unterstützt. Der Klimageograf an der Humboldt-Universität Berlin hat sich in mehreren Forschungsprojekten wissenschaftlich mit dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf den Wintersport befasst. Auch er sagt, dass sich die Frage, wie lange im Sauerland noch kommerzieller Schneesport stattfinden kann, nicht beantworten lässt. Dass allerdings spätestens 2040 Schluss ist, steht für Schneider fest: „Und vermutlich wird es auch um 2030 wirtschaftlich schon sehr schwierig.“

Vorhersagen sind schwierig

Der Grund, weshalb sowohl Touristiker als auch Wissenschaftler auf die Frage nach dem Ende des Wintersports in Südwestfalen keine konkrete Antwort haben, liegt in der enormen Komplexität des Themas. Obwohl der globale Klimawandel und seine Folgen zu den gegenwärtig am meisten erforschten Gebieten in der Wissenschaft gehören, lassen sich auf regionaler Ebene nur schwer Voraussagen machen. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Insbesondere meteorologische Schwankungen des Luftdrucks zwischen dem Islandtief und dem Azorenhoch, die sogenannte Nordatlantische Oszillation, haben entscheidenden Einfluss. Klimageograf Schneider: „Ob es im Sauerland einen guten Skiwinter gibt oder nicht, hängt eklatant von der Situation im Nordatlantik ab. Ganz vereinfacht gesagt, sorgt dort die Nordatlantische Oszillation für viel Niederschlag in Südwestfalen – allerdings bei relativ hohen Temperaturen, wenn sie sich in der positiven Phase befindet. Ist die Oszillation im negativen Modus, wird es kälter mit weniger Niederschlag. Zusätzlich gibt es aber sehr viele weitere Faktoren, die ebenfalls eine Rolle spielen.“

Lohnen sich bei so vielen Unwägbarkeiten überhaupt noch die Millionen-Investitionen, die Jahr für Jahr in den südwestfälischen Schneesport hineingepumpt werden? In den vergangenen 14 Jahren sind 105 Millionen Euro in den Ausbau der Beschneiung, der Lifte sowie der Pisten- und Loipenpflege geflossen. Davon haben den weitaus größten Anteil private Betreiber der Ski- und Loipengebiete getragen. Das Land NRW hat die Investitionen laut Wintersport-Arena mit Fördermitteln in Höhe von rund 5,5 Millionen Euro unterstützt.

Wintersport ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Sauerland. Foto: Wintersport-Arena Sauerland/ Siegerland-Wittgenstein e. V.

Wintersport ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Sauerland. Foto: Wintersport-Arena Sauerland/ Siegerland-Wittgenstein e. V.

Professor Christoph Schneider relativiert: „Normalerweise sind Lift- und Beschneiungsanlagen nach zehn Jahren amortisiert. Somit ist es nicht total absurd, 2016 noch in die Skigebiete zu investieren. Wie lange sich das aber noch lohnt, ist wiederum stark abhängig von der Entwicklung des Klimawandels und auch von den technischen und ökonomischen Entwicklungen rund um den Schneesport.“

Weitaus mehr Klarheit gibt es bei einem anderem Thema, das eng mit der Erderwärmung und deren Folgen für den Wintersport zusammenhängt: Dem enormen Energieaufwand, den es bereits jetzt braucht, um im Sauerland 83 Pisten so zu beschneien, dass im Idealfall von Dezember bis März Wintersport möglich ist. Fast 600 Schneekanonen befinden sich bereits jetzt an den Hängen des Rothaarkamms. Umweltschützer meinen, das sei zu viel. Der Bund für Umwelt und Naturschutz etwa vergleicht den Einsatz von Schneekanonen mit einem „Aufrüsten gegen die Natur“. Projektleiter Julian Pape hält dagegen und fordert, das Thema differenziert zu betrachten: „Der Skitag einer Person hinterlässt einen CO2-Fußabdruck, der nur ein Viertel so groß ist wie der eines Hallenbadbesuchers.“ Noch deutlicher werden die Dimensionen, wenn man den Urlaub im heimischen Schnee mit einer Fernreise vergleicht: „Die gesamte Beschneiung der Wintersportarena verbraucht in etwa die selbe Energiemenge wie ein Hin- und Rückflug mit 200 Passagieren von Deutschland in die Karibik“, erläutert Pape.

Wie kommt es dann aber, dass der Wintersport gerade bei Umweltschützern oftmals ein derart schlechtes Image hat? Für Michael Beckmann sind die Gründe klar: „Es ist viel einfacher auf künstliche Beschneiung zu schimpfen als auf Flugreisen. Die Schneekanone am grünen Hang ist als Bild auch viel einfacher zu erfassen als der Flug nach Mallorca. Zudem gibt es deutlich mehr Strandtouristen als Skifahrer.“

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Auch Klimageograf Christoph Schneider empfindet die Diskussion um den Energieverbrauch und die Wirtschaftlichkeit von Skigebieten manchmal etwas einseitig. „Der Schneesport ist eine hervorragende Möglichkeit, Menschen im Winter zu aktivieren. Das ist volkswirtschaftlich enorm wichtig. Und wenn die Leute ihren Wintersport auch noch im Nahbereich ausüben können, ist das auf allen Ebenen viel besser als dafür in die Schweiz zu jetten“, so Schneider.

Was bleibt, ist also die Frage, wie es in den südwestfälischen Skigebieten weitergeht, wenn dann mal wirklich kein (Kunst-)Schnee mehr liegen bleibt – egal ob das in zehn Jahren oder erst im Jahr 2040 der Fall ist. Für Michael Beckmann ist die Antwort klar: „Wir müssen unsere Skigebiete so attraktiv machen, dass ein Ganzjahresbetrieb möglich ist.“

Sessellift transportiert Fahrräder

Ein Ort, an dem das jetzt schon gelingt, ist Erlebnisberg Kappe, wo ein neuer Sessellift gebaut wurde, der auch die Fahrräder der Sommertouristen transportieren kann. Eine weitere Attraktion für die schneefreie Zeit ist eine neue Mountaincart-Anlage im Skigebiet-Ruhrquelle. Hier können Wagemutige auf einer Art Dreirad die Hänge hinab rasen. Im Anschluss geht es für Renngerät und Fahrer per Lift zurück auf den Gipfel. Im fortgeschrittenen Stadium befinden sich auch die Pläne für eine Zipline in Altastenberg. An dem 1000 Meter langen Stahlseil rutschen Teilnehmer zukünftig in einem Tragegeschirr mit bis zu 70 Stundenkilometern vom Kahlen Asten ins Tal. Und damit Sommer- wie Wintergäste alle diese Angebote auch gut erreichen, sollen in Winterberg bald elektrobetriebene VW E-Ups bereit stehen, die nicht nur die Mobilität der Touristen verbessern, sondern auch zur CO2-Vermeidung beitragen.

Ob all dies und die vielen weiteren im noch unveröffentlichten „Tourismuskonzept 2020“ aufgeführten „Klimafolgeanpassungsstrategien“ ausreichen, um in Winterberg und Umgebung den vielbeschworenen „Vier-Jahreszeiten-Tourismus“ zu etablieren?
Eine neue Studie belegt, dass insbesondere die Fokussierung auf Radfahrer deutliche Wirkung zeigt. So sind laut dem Verein Sauerland-Radwelt in diesem Jahr bereits 8,8 Millionen Tagesausflüge mit dem Rad ins Sauerland unternommen worden – 5,1 Millionen mehr als 2013. Die Gesamtzahl der Radtouristen in der Region stieg auf jährlich 9,3 Millionen Menschen, die für einen Bruttoumsatz von über 150 Millionen Euro sorgen. Zahlen, die zuversichtlich stimmen.

Auch Wintersport-Chef Michael Beckmann meint, die Bedingungen für einen rentablen Ganzjahrestourismus seien gut. Trotz allem sei aber klar, „dass der Gast, der heute im Winter zu uns kommt, Ski fahren möchte. Ob er nach 2030 auch noch zum Skifahren kommt, oder um etwas anderes zu erleben, das kann ich allerdings noch nicht beantworten“.

Alexander Kruse / aus dem WESTFALENSPIEGEL Heft 06/2016

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