WLV-Präsident Hubertus Beringmeier. Foto: WLV
10.02.2022

„Wir können auch Veganer ernähren“

Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL spricht der Präsident des Westfälisch-Lippischen Bauernverbands, Hubertus Beringmeier, über die Landwirtschaftspolitik im Bund, die Situation der Schweinezüchter in der Region und die Perspektive für junge Landwirte.

Herr Beringmeier, wie geht es den Landwirten der Region zu Beginn des Jahres?
Wir erleben gerade eine angespannte Lage. Die hohen Energiepreise, die damit verbundene Explosion der Kosten für Betriebsmittel und die Marktverwerfungen infolge der Corona-Pandemie machen vielen Betrieben zu schaffen. Zudem ist noch unklar, wie es politisch weitergeht. Im Regierungswechsel sehen wir auch neue Chancen. Wir wünschen uns eine starke Beteiligung an den geplanten Umbauprozessen und dass man die neue Agrarpolitik mit uns Landwirten und nicht gegen uns gestaltet.

Cem Özdemir als Bundeslandwirtschaftsminister fordert: Landwirte müssen wieder von ihrer Arbeit leben können. Das müsste Ihnen doch gefallen.
Auf jeden Fall. Es kann nicht sein, dass bei den Landwirten nur etwa ein Fünftel des Betrags ankommt, den die Verbraucher für Nahrungsmittel an der Kasse zahlen. Das zeigt: Wir haben eine ungleiche Verteilung in der Wertschöpfungskette. Hinzu kommt, dass Corona die Märkte kräftig durcheinandergewirbelt hat. Die Pandemie hat auch innerhalb der Landwirtschaft Gewinner und Verlierer hervorgebracht.

Wer zählt in Westfalen zu den Gewinnern, wer zu den Verlierern?
Da klafft es tatsächlich extrem auseinander. Unsere Rindfleischerzeuger zählen zu den Gewinnern der Krise, unsere Schweinehalter dagegen kämpfen um ihre Existenz. Vor der Pandemie hatten wir viel ausländisches Rindfleisch in den Regalen der großen Supermärkte. Die Rindfleischimporte aus Südamerika sind durch Corona zum Stillstand gekommen. Der Preis für Rindfleisch hat daher enorm zugelegt. Umgekehrt ist es beim Schweinefleisch.

Landwirte, die Rindfleisch produzieren, haben von der Pandemie profitiert. Foto: Jürgen Bröker, wsp

Landwirte, die Rindfleisch produzieren, haben von der Pandemie profitiert. Foto: Jürgen Bröker, wsp

Warum sind gerade die Schweinepreise so stark gesunken?
Das liegt vor allem daran, dass wir in Deutschland nur einen Teil des Schweins essen. Bei uns isst man am liebsten nur Steak und Schnitzel. Diese Edelteile müssen wir sogar importieren. Bei den anderen Teilen wie etwa Schweinepfoten oder Schnauzen haben wir einen deutlichen Überhang. Der in normalen Zeiten übliche Export dieser Teile ist durch die Corona-Pandemie und den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Ostdeutschland weggebrochen.

Das trifft die westfälischen Landwirte besonders. Denn die Region ist „Schweineland“.
Das stimmt. Zusammen mit Niedersachsen produzieren wir in Westfalen 60 Prozent des deutschen Schweinefleisches. Viele unserer Landwirte sind daher extrem unter Druck. Sie können schon seit Monaten nicht mehr kostendeckend arbeiten.

Was halten die Landwirte in der Region von der Initiative Tierwohl?
Die unterstützen wir und sind als Westfalen auch vorangegangen, aber wir können da auch noch mehr tun. Am Ende des Tages muss mehr Tierwohl bezahlt werden. Die Rechnung ist ja ganz einfach: Wenn ich künftig auf einer bestimmten Fläche nur noch zwei statt zuvor drei Schweine halten darf und das Einkommen dennoch stimmt, dann wird kein Landwirt etwas dagegen haben.

Die große Frage ist: Wer finanziert das, die Verbraucher?
Es wird schwierig, die Verbraucher davon zu überzeugen. Doch es gibt positive Signale aus der Politik. Dort sagt man klar: Wir wollen Landwirtschaft nicht exportieren, Landwirte in Deutschland sollen ein angemessenes Einkommen erwirtschaften, damit sie ihre Höfe erhalten können.

Mit mehr Tierwohl sind aber auch mehr Investitionen verbunden.
Das ist gerade für die jungen Landwirte, die jetzt Höfe übernehmen möchten, ein wichtiges Thema. Sie brauchen Planungssicherheit. Investitionen in mehr Tierwohl brauchen Tilgungspläne, die über 20 oder 25 Jahre laufen. Da können die wesentlichen Bedingungen für einen Bankkredit nicht alle paar Jahre angepasst werden. Wir brauchen da wirklich Verlässlichkeit.

Schweinehalter zählen zu den Verlierern der Pandemie, sagt WLV-Präsident Hubertus Beringmeier. Foto: Jürgen Bröker, wsp

Schweinehalter zählen zu den Verlierern der Pandemie, sagt WLV-Präsident Hubertus Beringmeier. Foto: Jürgen Bröker, wsp

Unverkennbar sind vegane Produkte im Trend, liegt darin eine Chance für die hiesigen Landwirte?
Zunächst mal: Wir Landwirte schreiben niemandem vor, ob er Fleisch oder tierische Produkte essen soll oder nicht. Wir können auch Veganer ernähren, das ist überhaupt kein Problem. Ich kenne allerdings noch keinen Schweinebauern in der Region, der seine Tiere abgegeben hat und nun auf die Produktion veganer Nahrungsmittel setzt. Aber wir passen uns dem Bedarf und dem Verbrauch an, das war schon immer so.

Ist der Anbau von Hanf vielleicht auch bald eine Alternative?
Das wird sicher nicht der ganz große Markt werden, auf den alle Landwirte gewartet haben. Für den einen oder anderen in Westfalen bietet die Freigabe von Cannabis aber sicher eine Nische, die ihm weiterhelfen wird.

Was können die Landwirte in Westfalen für den Klimaschutz tun?
Zum Beispiel tragen wir durch den Humusaufbau in der Erde zur Bindung von CO2 bei. Im Bereich der erneuerbaren Energien tun wir zudem schon eine Menge. Viele Höfe haben Photovoltaik- oder Windkraftanlagen. Auf der anderen Seite sind wir als Landwirtschaft verantwortlich für sieben Prozent des CO2-Ausstoßes. Da wollen wir noch besser werden. Wichtig ist mir aber zu betonen: Positive Leistungen müssen vergütet werden, negative müssen wir bezahlen. Da sehe ich noch Chancen, Einkommensmöglichkeiten für die Landwirte zu generieren.

Welche innovativen Ansätze in der Landwirtschaft gibt es in Westfalen?
Es gibt erste sogenannte Agri-Photovoltaik-Anlagen. Das sind Anlagen, bei denen unter den Photovoltaik-Flächen zum Beispiel Obst angebaut wird. Das ist ein spannendes Feld. Solche Modelle werden in den nächsten Jahren enorm an Bedeutung gewinnen.

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Sie bewirtschaften gemeinsam mit Ihrem Sohn einen Familienbetrieb. Welche Perspektive hat er für seine Zukunft?
Was die jungen Landwirte jetzt am dringendsten brauchen, ist die politische Unterstützung. Sie brauchen einen Rahmen, an dem sie sich orientieren können. Perspektiven und Planungssicherheit.

Gibt es genügend Nachwuchs in der Landwirtschaft in Westfalen?
In der Ausbildung haben wir relativ gute Zahlen. 50 Prozent derer, die heute ausgebildet werden, kommen nicht direkt aus der Landwirtschaft. Im Moment erleben wir eine große Verunsicherung und einen erhöhten Strukturwandel. Auch deshalb benötigen wir die Planungssicherheit, damit die jungen Leute auf den Höfen bleiben.

Ist die regionale Vermarktung ein Weg aus der Krise für diese Höfe?
Diese Modelle helfen der Landwirtschaft sehr. Und zwar auf verschiedenen Ebenen. Zum einen tragen sie zu einem positiveren Image bei. Und auf der anderen Seite eröffnen sich zusätzliche Vermarktungsmöglichkeiten. Regionalität ist ein wachsender Markt. Der Trend ist unverkennbar da. Und den hat auch der Lebensmitteleinzelhandel aufgegriffen. Regionale Vermarktungsstrategien, die sich vom Massenmarkt abheben, sind ganz sicher eine zusätzliche Chance für die Landwirte in Westfalen-Lippe.

Interview: Jürgen Bröker, wsp

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