Frauenfußball ist in den vergangenen Jahren athletischer und dynamischer geworden. Foto: FLVW
01.10.2020

„Wir wollten einfach Fußball spielen“

Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL spricht Marianne Finke-Holtz (Steinfurt), Vorsitzende Kommission Frauenfußball und Vizepräsidentin des Fußball und Leichtathletik Verbands Westfalen (FLVW) für Vereins- und Verbandsentwicklung, über die Pionierinnen des Frauenfußballs und warum sie sich über die neu gegründeten Frauenabteilungen beim FC Schalke 04 und Borussia Dortmund besonders freut.

Frau Finke-Holtz, kann man sagen, wo die Keimzelle für den Frauenfußball in Westfalen liegt?
Ein Schwerpunkt war sicher Dortmund. Dort gab es mit Fortuna Dortmund schon vor der Aufhebung des Verbots für Frauenfußball einen Verein, in dem Frauen regelmäßig Fußball gespielt und sogar an Länderspielen teilgenommen haben. Aber auch in anderen Teilen Westfalens, zum Beispiel im Münsterland, haben sich Anfang der 1970er Jahre Vereine gegründet, in denen Frauen und Mädchen Fußball spielen konnten.

Weshalb hatte der DFB den Fußball für Frauen vor 1970 verboten?
Die Gründe dafür sind heute teilweise nicht nachvollziehbar. Immer wieder gab es Aussagen von Ärzten, wonach der Sport für den Körperbau der Frauen ungesund sei. Ich glaube aber auch, dass das Verbot einfach in die Zeit damals passte. In den 1950er, 60er Jahren und noch weit bis in die 70er Jahre mussten Frauen ihre Männer ja sogar noch um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten gehen und Geld verdienen wollten. Fußball war Männersache und das sollte auch so bleiben. Schließlich waren auf den Verbandsversammlungen des DFB ja auch nur Männer.

Trotzdem hat eben eine solche Männerversammlung das Verbot am 31. Oktober 1970 aufgehoben und zwar einstimmig.
Das stimmt. Aber dazu muss man auch wissen, dass der DFB ja gesehen hat, dass sich die Frauen vom Verbot nicht abhalten ließen. An vielen Orten gab es mutige Frauen, die trotz des Verbots und der Häme ihren Sport ausgeübt haben, einfach weil sie kicken wollten und Spaß daran hatten. Damals hatte der DFB die Sorge, die Frauen könnten einen eigenen Verband gründen. Dann wollte man die Frauen doch lieber dabeihaben.

Waren die kickenden Frauen in den 1970er Jahren Pioniere ihrer Sportart?
Zumindest haben sie eine Pionierleistung erbracht, ja. Denn den Fußballsport gab es ja eigentlich nur für Männer. Selbst als ich 1978 mit 13 Jahren einem Verein beigetreten bin, waren wir Fußball spielenden Frauen und Mädchen noch Exoten.

In den Anfängen des Frauenfußballs mussten sich die kickenden Mädchen und Frauen gegen Vorurteile wehren. Foto: FLVW

In den Anfängen des Frauenfußballs mussten sich die kickenden Mädchen und Frauen gegen Vorurteile wehren. Foto: FLVW

Wurden sie belächelt oder mit frauenfeindlichen Sprüchen konfrontiert?
Na klar gab es solche Sprüche. Aber das hat uns nicht wirklich gestört. Wir wollten einfach Fußball spielen. Wir wollten Trainings- und Spielzeiten, eine Möglichkeit, uns umzuziehen und einen Trainer. Das war uns wichtig. Alles andere nicht.

Wie hat sich der Frauenfußball seit den Anfängen entwickelt?
Auf jeden Fall ist er athletischer und schneller geworden. Diese Entwicklung gibt es aber auch bei den Männern – nur haben die einen Vorsprung von 50 oder 60 Jahren. Aber wir haben da sehr schnell aufgeholt. Heute kicken die Mädchen schon viel früher in Vereinen, teilweise schon mit vier oder fünf Jahren. Sie werden besser ausgebildet als zu unserer Zeit. Vergleichbar mit den Jungs.

Dennoch ist ein Vergleich zwischen Männer- und Frauenfußball nicht fair, oder?
Zumindest sollte man das nicht auf der Ebene diskutieren, was ist besser, was ist schlechter. Das funktioniert in anderen Sportarten ja auch nicht. Das Dümmste wäre es, Frauen und Männer gegeneinander spielen zu lassen, um zu sehen, wer es besser kann. Frauenfußball ist Frauenfußball. Wir brauchen uns aber sicher nicht zu verstecken.

In Westfalen hat Frauenfußball auch eine große Vergangenheit. In Siegen gab es eine sehr erfolgreiche Mannschaft, heute gibt es aber nicht einmal mehr einen Bundesligisten.
Das stimmt leider und das würden wir uns auch sehr wünschen. Wir leisten gute Arbeit in der Ausbildung der Talente. Zum Beispiel in unserem Mädchen-Fußballinternat in Kamen-Kaiserau. Die Mädels, die dort leben, sind fast ausnahmslos in den U-Auswahlmannschaften des DFBs. Aber wenn sie in die Frauen-Bundesliga möchten, dann müssen sie Westfalen verlassen. Wir hoffen, dass sich das irgendwann wieder ändert.

Marianne Finke-Holtz. Foto: FLVW

Marianne Finke-Holtz. Foto: FLVW

Wie kann es denn gelingen, wieder einen Bundesligisten aus Westfalen aufzubauen?
Ich glaube, der Weg im Leistungsfußball funktioniert heutzutage vor allem über die Profi-Clubs der Männer. Das sieht man zum Beispiel an unseren Aushängeschildern im Frauenfußball, dem VfL Wolfsburg oder Bayern München. Ähnlich ist die Entwicklung auch im Frauenfußball in Frankreich oder England. Der Vorteil ist, dass die Frauenteams dann Synergien nutzen können. Die notwendige Infrastruktur für professionelle Bedingungen im Hochleistungssport ist ja vorhanden. Qualitativ gut ausgebildete Trainer*innen, Trainingsplätze, Physiotherapie, Fitnessräume. Das ist heute für die Spitze im Frauenfußball zwingend notwendig und das kann sich ein kleiner Verein heute oft gar nicht mehr leisten.

Gibt es Profi-Clubs der Männer in der Region, die schon Frauenabteilungen haben?
Arminia Bielefeld ist diesen Weg schon gegangen und spielt neben dem FSV Gütersloh und SV Berghofen bereits im Unterhaus der Bundesliga. Vor diesem Hintergrund freut es mich sehr, dass sich sowohl Borussia Dortmund als auch Schalke 04 als Hochburgen des westfälischen Männer-Fußballs nun im Frauen- und Mädchenfußball engagieren und Mannschaften für den Spielbetrieb gemeldet haben oder melden werden. Und sich auch leistungsorientierte Ziele gesteckt haben. Wichtig ist aber, dass die großen Vereine auch den Mehrwert einer Frauen- und Mädchenfußballabteilung erkennen. Zum Beispiel als Signal nach außen: Wir bieten Fußball für alle an. 

Interview: Jürgen Bröker, wsp

Ein Porträt über eine der Pionierinnen des Frauenfußballs in Westfalen lesen Sie hier:
Kick it like Petra

In Heft 5/2020 lesen Sie mehr über die Geschichte des Frauenfußballs in Westfalen. Hier geht es zur Inhaltsübersicht.

Lesen Sie auch im Bereich "Gesellschaft"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin