
„Wut bewegt sich immer stärker Richtung Gewalt“
In den vergangenen Wochen häuften sich Meldungen zu Gewalt gegen Politiker. Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick erklärt im Interview, woran das liegt.
Woher kommt die gestiegene Gewaltbereitschaft gegenüber Politikern?
Der Weg in die Gewalt hat viele Pfade. Gesellschaftlich hat sich die Billigung von Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker insgesamt erhöht. In unserer letzten Mitte-Studie, einer repräsentativen Umfrage aus dem letzten Jahr, stimmten zehn Prozent der Meinung zu: „Gewalt ist zu Erreichung politischer Ziele moralisch gerechtfertigt.“ Weitere vier Prozent meinten, das stimme teils-teils. 13 Prozent meinten: „Einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt“, 16 meinten, das stimme „teils-teils“. Ich nenne die Zahlen, weil sie zeigen, dass in der Mitte die Distanz zu politischer Gewalt absinkt und damit Normen gegen Gewalt weniger greifen. Dazu kommt eine Polarisierung in politischen Fragen, die insbesondere von Anhängern rechtsradikaler Gruppen, Parteien und Meinungen gesucht wird und die Feindbilder hochfährt. Das wiederum geschieht seit Jahren über digitale Netzwerke, die viele Menschen radikalisieren, manche bewusst andere merken gar nicht, wie ihre Wut sich immer stärker Richtung Gewalt bewegt. Und nicht zuletzt zeigt die Gewalt, dass auch oft kaum jemand Zivilcourage zeigt, also auch die Bremsfaktoren für Gewalt nicht wirken oder vorhanden sind.
Was trägt die Verrohung der Sprache etwa in den Parlamenten zu dieser Entwicklung bei?
Die Verrohung der Sprache spielt eine sehr zentrale Rolle, denn mit der Sprache werden die Vorurteile und Feindbilder aufgebaut und die Sprache der Radikalen ist das Instrument, mit dem sie ihre Ressentiments als normal verkaufen.

Pro. Andreas Zick ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Foto: Universität Bielefeld
Als eine Lösung sind härtere Strafen für die Täter im Gespräch, was halten Sie davon?
Die kriminologischen Studien zeigen, dass dies kaum andere Taten verhindert. Härtere Strafen sind auf der einen Seite eh schon möglich, aber das obliegt den unabhängigen Gerichten. Zweitens haben sie keinen Vorbild- bzw. Abschreckungseffekt für andere, wie viele vermuten, die nach härteren Strafen rufen. Besser wirken gezielte Strafen, die Täter empfindlich treffen, wie auch eine klare Resozialisierung und die Vermittlung von Folgen von Verurteilungen.
Welche Lösungen sehen Sie stattdessen?
Was wirkt ist auch, die Gewalt ins Hellfeld zu bringen, damit sie verfolgt wird. Die meisten Taten, insbesondere kleinere Delikte wie Beschimpfungen und Beleidigungen, die lange psychische Folgen haben können, sind nicht bekannt. Die Meldung von Gewalt muss einfacher sein. Es gibt für Kommunalpolitiker ein Meldeportal. Was hilft, ist eine Stärkung der Gerichte, damit sie die Fälle gut bearbeiten können. Was hilft, ist frühe Gewaltprävention in Schulen, Nachbarschaften, an Arbeitsstellen. Was hilft, ist ein Risikomanagement. Und es hilft ein Konfliktmanagement, sodass Konflikte nicht in Gewalt münden. Ein erster Schritt wäre es aber auch angesichts der massiven Gewalt im Land das Thema auf die Agenda der Politik zu setzen und nicht in Reflexen von „mehr Polizei, härtere Strafe“ münden. Das hören Opfer fast immer und sehen, dass wenig passiert, und dazu gehören viele Meschen aus Medien, Sicherheitsdiensten, Minderheiten und jene, gegenüber denen wutgetränkte Feindbilder im Netz kursieren.
Was bedeutet die Gewalt gegen Politiker für den Wahlkampf zur Europawahl?
Die Opfer von Gewalt – dazu gehören auch jene, die in sozialen Medien verfolgt werden mit herabwürdigenden Bildern – fahren ihr Engagement runter. Schon Gewaltdrohungen beeinflussen Politiker und führen zum Rückzug. Die nun sichtbare Gewalt muss dazu führen, dass es vor Wahlen eine gute Risikoeinschätzung für Politiker gibt, die im Fokus von Gruppen stehen. Das geschieht schon im Teil, aber in den Netzwerken entstehen immer neue Bilder und Täter suchen neue Wege. Die Gewalt könnte die Wählerinnen und Wähler aber auch dazu motivieren, nicht noch mehr ihr Vertrauen in Politik abzuziehen – denn das beobachten wir gerade auch in Europa – sondern jene Kräfte zu stärken, die sich gegen Gewalt wenden. In Europa kann sich ein Rechtsruck ergeben, weil die rechtsradikale Fraktion eine starke Einheit bildet und sich die europäische Mitte im Konflikt befindet. Der Rechtsruck bedeutet auch einen Ruck in Richtung aggressiver nationaler Politik, noch mehr Feindbilder und Fake News, die aggressive Bilder brauchen, um Menschen zu binden.
Interview: Jürgen Bröker, wsp