Foto: Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein e.V.
02.02.2023

Zu viel Freiheit

Das einzigartige Wisentprojekt am Rothaarsteig steht vor dem Aus. Wie kam es dazu?

Die freilebende Wisentherde am Rothaarsteig ist die einzige ihrer Art in Westeuropa. Vor etwa zehn Jahren wurden die ersten Tiere in die Freiheit entlassen. Seither hat sich im Wittgensteiner-Sauerländer-Grenzgebiet einiges entwickelt. Auf der Wittgensteiner Seite gibt es eine Wisent-Welt, das große Gehege und eine gemütliche Holzhütte, in der es neben Kaffee und Mittagstisch auch allerhand Nippes rund um die Wisente zu kaufen gibt. Auf der Sauerländer Seite gibt es vor allem eine Menge Ärger. Über dem Projekt steht eine gute Absicht: In Wittgenstein sollte der Beweis angetreten werden, dass der Mensch die Natur nicht nur zerstören, sondern auch retten kann. Aber kann das funktionieren?

Fragt man die Biologin des Trägervereins der „Wisent-Welt-Wittgenstein“ Kaja Heising fällt die Antwort eindeutig aus: Aus wissenschaftlicher Sicht sei das Projekt ja schon ein sehr großer Erfolg, sagt sie: „Die Tiere sind gesund, sie haben eine gute Reproduktionsrate. Das zeigt, dass sie sich in der Region wohlfühlen.“ Außerdem haben die Wildrinder einen positiven Einfluss auf das Ökosystem. „Seit der Ansiedlung der Wisente haben sich mehr als 30 Pflanzenarten neu etabliert“, erklärt Heising. Zusätzlich profitieren Pilze oder andere Tierarten von der Anwesenheit der Wisente, zum Beispiel verschiedene Dungkäfer.

Waldbauern sind verärgert

Georg Feldmann-Schütte besitzt Wälder im Hochsauerlandkreis. Gemeinsam mit einem weiteren Waldbauern hat er die Wiederansiedlung der großen Säuger ins Wanken gebracht. Denn schon früh entdeckten die in die Freiheit entlassenen Rinder, dass die Buchenrinde im Schmallenberger Sauerland besonders gut schmeckt. Dabei hieß es zu Projektbeginn noch: Die Tiere bleiben im Wittgensteiner Land. Doch die Wisente zogen weiter und schälten auch in den sauerländischen Wäldern Bäume. Feldmann-Schütte beziffert den bisher entstandenen Schaden in seinen Wäldern auf etwa 70.000 Euro. Etwa 60 Prozent davon habe er erstattet bekommen, erklärt der Waldbauer.

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Hielt sich die Zustimmung der Waldbesitzer – vor allem derjenigen aus dem Sauerland – schon vor Projektbeginn in Grenzen, wollten sie die Tiere nun von ihren Grundstücken fernhalten. Feldmann-Schütte und ein weiterer Waldbauer klagten vor Gericht. Mit Erfolg. Das Oberlandesgericht Hamm urteilte, dass der Trägerverein der Wisent-Welt-Wittgenstein dafür sorgen müsse, dass keine weiteren Schäden an den Bäumen der klagenden Waldbauern auftreten.


Dies ist ein gekürzter Auszug aus der Reportage „Zu viel Freiheit“ aus Heft 1/2023 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann testen Sie unser Magazin. Hier geht es zum kostenlosen Probeabo.


Der Trägerverein musste also dafür sorgen, dass die Wisente die Grundstücke der klagenden Waldbauern nicht mehr betreten. Vieles wurde ausprobiert, nichts hat bisher funktioniert. Daraufhin kündigte der Trägerverein im vergangenen Herbst den öffentlich-rechtlichen Vertrag und erklärte die Herde für „herrenlos“. Nun stehen die Beteiligten am Scheideweg. Der Kreistag in Siegen-Wittgenstein will „möglichst bis Ende September klären, ob eine Fortführung des Projekts gelingen kann“, sagt der Umweltdezernent des Kreises, Arno Wied. Ein runder Tisch mit allen Beteiligten soll doch noch eine Lösung finden. Dr. Oliver Keuling vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover hat 2021 ein umfangreiches Gutachten vorgestellt. Er hält eine Fortsetzung des Wisentprojekts für „sehr unrealistisch – auch wenn eine dauerhafte Wiederansiedlung durchaus machbar wäre“.

Der Trägerverein gesteht Fehler ein. So habe man gedacht, dass ausgewiesene Gebiet im Wittgensteiner Land reiche den Tieren, heißt es von Seiten des Vereins. Heute weiß man, es reichte nicht. „Wir haben handwerkliche Fehler gemacht, aber diese sind nicht so schwerwiegend, dass man das Projekt abbrechen müsste“, so der Verein weiter. Die Biologin Heising sagt, scheitere das Projekt, sei es ein Armutszeugnis für die Politik und die Gesellschaft.

Jürgen Bröker, wsp

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