Rüdiger Rehberg (1935-2020). Foto: Target-Nehberg
03.04.2020

Zum Tod von Rüdiger Nehberg: Ein Leben voller Abenteuer

Rüdiger Nehberg ist tot. Der Menschenrechtler und Überlebenskünstler aus Bielefeld starb am 2. April 2020 im Alter von 84 Jahren. Wir erinnern an den Abenteurer mit einem Porträt, das der WESTFALENSPIEGEL zu Rehbergs 80. Geburtstag veröffentlicht hat.

„Geh‘ doch in die Wüste!“ Für andere eine Beleidigung, für ihn eine gut gemeinte Aufforderung. Obgleich er die längst nicht mehr braucht. Denn Wüste, Dschungel und Ozean sind seit Jahrzehnten das zweite Zuhause von Rüdiger Nehberg, den Journalisten „Sir Vival“ (engl. survival = überleben) geadelt haben. Seine Wiege steht indes nicht an einem der zahlreichen exotischen Orte, die Nehberg im Laufe seines fast 80-jährigen Lebens besucht hat, sondern in Bielefeld.

Am 4. Mai 1935 wird er als Sohn eines Bankangestellten geboren. Mit vier Jahren reißt der kleine Rüdiger von zu Hause aus mit dem Ziel, Oma zu besuchen, „also einmal quer durch Bielefeld“. Ein weiter Weg mit Übernachtung unter einem Rhododendronbusch und einer Zeitung als Decke. Zum Glück findet ihn die Polizei rechtzeitig, denn mit der Orientierung klappt es noch nicht so richtig. „Aber so hat meine Abenteuerlust wohl angefangen“, sagt Nehberg lachend.

Erste Tour führt nach Marokko

Mit Mittlerer Reife verlässt Rüdiger Nehberg 1951 das Ratsgymnasium und erzählt seinen Eltern, dass er nun mit dem Fahrrad mal nach Paris fahren wolle. „In Wirklichkeit bin ich nach Marokko gefahren“, erzählt er. „Ein Freund hat jede Woche eine Postkarte mit Pariser Motiven in den Briefkasten gesteckt, doch ich war schon in Marrakesch und wollte Schlangenbeschwören lernen, um damit zuhause aufzutreten und Geld zu verdienen. Hat nicht geklappt.“

Sein Vater wird nach Münster versetzt. „Sein Wunsch war es, dass ich auch Banker werde, und ich habe bei der Kreissparkasse ein Praktikum begonnen. Aber mir graute vor den Zahlenkolonnen und den Konten anderer Leute, die ich verwalten sollte.“ Die Mutter hat größeren Einfluss: „Ich war immer gern in der Küche“, erinnert sich Nehberg, „wo ich beim Kochen und Backen zur Hand gegangen bin.“ Er wird also Konditorlehrling in Münster.

Selbstständiger Konditor

Rüdiger Nehberg absolviert die Lehre mit Erfolg, geht, wie er sagt, auf „Berufswanderschaft, um andere Arbeitsmethoden kennenzulernen“, und landet schließlich in Hamburg. „Eine tolle Stadt, der Hafen, Menschen aller Nationen – das hat mir gefallen.“ Er macht sich selbständig und eröffnet 1965, inzwischen Konditormeister, sein erstes Geschäft, wenig später ein zweites.

Das Unternehmen, das Nehberg 25 Jahre lang führt, vergrößert sich schnell, beschäftigt in der Blütezeit über 50 Angestellte. Den Chef zieht es indes hinaus in die Welt. „In den USA war zu jener Zeit die „Survival“-Bewegung ganz groß, und das hat mich gereizt“, erklärt er. „Überleben unter schwierigsten Bedingungen, oft ganz auf sich allein gestellt, im Einklang mit der Natur und ihren Gaben.“ Weltweit bekannt werden seine spektakulären Aktionen: Im Tretboot allein über den Atlantik, vom Helikopter ohne Ausrüstung mitten im Urwald abgeseilt und nach 23 Tagen wieder aufgetaucht, 1000 Kilometer zu Fuß durch Deutschland ohne Geld und Hilfsmittel.

Streitbarer Kämpfer für eine gerechtere Gesellschaft

Dabei verändert sich sein Blick auf die Welt. Aus dem Mann, der aus reiner Neugier das Abenteuer sucht, wird der streitbare Kämpfer für eine gerechtere Gesellschaft. „Ich wurde Augenzeuge schlimmer Verbrechen und habe mich engagiert“, sagt Nehberg. Zum Beispiel in Südamerika, wo er fast 20 Jahre lang für die Rechte der Yanomami-Indianer kämpft und schließlich Erfolg hat. Das ist auch der Impuls für sein Engagement gegen die Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen. Deren Ächtung hat die von ihm und seiner zweiten Frau, Annette Weber, im Jahr 2000 gegründete Menschenrechtsorganisation „Target“ zum Ziel.

„Meine Frau und ihre beiden erwachsenen Kinder leisten Phantastisches“, sagt Nehberg und erzählt leidenschaftlich von dem neuen Gesundheitszentrum für Mädchen und Frauen in der Danakil-Wüste bei den Afar-Nomaden, dessen Bau der 29-jährige Stiefsohn leitet. Seinen 80. Geburtstag im Mai mag Nehberg nicht groß feiern, aber auf die Einweihung der Klinik im Juni freut er sich sehr: „Alle 60 Clanführer werden kommen.“

Rüdiger Nehberg hat fast drei Dutzend Bücher geschrieben, unzählige Film- und TV-Dokumentationen gedreht und dreimal das Bundesverdienstkreuz erhalten. Jetzt soll noch sein größter Wunsch in Erfüllung gehen: „Die weltweite Strafbarkeit der Genitalverstümmelung!“ Auf die Frage, was ihm bei diesem Einsatz am meisten hilft, sagt er: „Mein westfälischer Sturkopf.“

Andreas Linke

Dieser Beitrag stammt aus Heft 2/2015 des WESTFALENSPIEGEL.

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