„Es gibt eine Scheu vor dem Vorstandsamt“
Es eine große Hilfsbereitschaft einerseits, andererseits müssen Vereine aufgeben, weil immer weniger Menschen langfristig ein Amt übernehmen wollen. Wo Ursachen und auch Lösungsideen liegen, berichtet die NRW-Staatssekretärin für Sport und Ehrenamt, Andrea Milz, im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL.
Frau Milz, Sie sind mit Vereinen und Engagierten in Kontakt. Wie ist dort nach vielen Lockdown-Monaten und Einschränkungen die Situation?
Bürgerschaftliches Engagement lebt von der persönlichen Begegnung. Die Pandemie hat die Arbeit von Vereinen und den vielen Menschen, die sich in verschiedensten Zusammenhängen einsetzen, somit sehr erschwert. Umso erstaunlicher finde ich es, wie groß in Krisenzeiten die Hilfsbereitschaft ist. Viele Vereine und Initiativen haben spontan in ihrem Umfeld mit angepackt. Das hat mich wirklich beeindruckt.
Also alles in Ordnung in Sachen Ehrenamt?
Ich sehe zunächst einmal ein ganz beachtliches Engagement, ob in Sportvereinen oder in kleineren Initiativen, in Ehrenämtern und bei vielen anderen Gelegenheiten. Ich nehme in den vergangenen 10 bis 15 Jahren aber deutliche Veränderungen wahr. Wo früher einmal das kontinuierliche Engagement über Jahrzehnte selbstverständlich war, sind viele Menschen heute eher für eine begrenzte Zeit und passend zu ihrer Lebenssituation aktiv. Das heißt konkret: wenn ihre Kinder einen Kindergarten besuchen, engagieren sie sich dort vielleicht im Elternrat. Wenn die Kinder dann in die Schule wechseln, möchten sie in der Klassenpflegschaft mitarbeiten, legen dafür aber das Amt in der Kita nieder. Zu einem späteren Zeitpunkt geht das Engagement vielleicht eher in Richtung Hospizarbeit, weil man hier über pflegebedürftige Angehörige Kontakte hat.
Was bedeutet das für die Vereine und ihre Vorstände?
Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass Menschen selbstverständlich über Jahrzehnte ein Amt ausüben. Das wird in Zukunft immer seltener der Fall sein. Vereine stellt diese Entwicklung vor die Herausforderung, dass sie immer häufiger Mitglieder davon überzeugen müssen, ein Vorstandsamt zu übernehmen.
Wo liegen die Vorbehalte?
Es gibt eine gewisse Scheu vor dem Vorstandsamt. Dabei spielen häufig Bedenken eine Rolle, dass man solche Posten gleich für viele Jahre übernehmen muss. Dann sind immer wieder die zunehmende Bürokratie oder auch Fragen nach einer möglichen Haftung Gründe, warum der eine oder andere davor zurückschreckt, Verantwortung zu übernehmen.
„Über Projekte wachsen Menschen in das Engagement hinein“
Wo könnten Lösungen liegen?
Ich erlebe in Gesprächen immer wieder, wie wichtig es ist, Nachwuchs für die Aufgaben im Verein zu gewinnen. Über Projekte wachsen Menschen in das Engagement hinein und verlieren auch die Scheu vor einem Vorstandsamt. Beispiele aus unterschiedlichsten Verbänden oder Vereinen zeigen, dass es helfen kann, Amtszeiten von vornherein zu begrenzen oder rotierende Besetzungen zu vereinbaren.
Welche Unterstützung benötigen Engagierte?
Diese Frage bildete den Ausgangspunkt für die Engagementstrategie NRW, die im Februar vorgestellt wurde. Im Vorfeld haben wir Menschen in allen Regionen NRWs gefragt, an welchen Stellen sie Hilfe benötigen. Dabei haben wir erfahren, dass das Thema Qualifikation sehr wichtig ist. Wer heute ein Vorstandsamt annimmt, beschäftigt sich nicht selten mit Themen wie Datenschutz, Steuern, Versicherungen und auch Haftungsfragen. Dafür fühlen sich viele Menschen nicht gut gerüstet. Im Rahmen der Engagementstrategie finanzieren wir passgenaue und für die Engagierten kostenlose Fortbildungen. Immer wieder zeigt sich nämlich, dass Wissen zu solchen Themen vielen Menschen die Angst nimmt, sich damit zu beschäftigen.
Es gibt zahlreiche Förderprogramme. Häufig fehlt es aber an Informationen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es eigentlich gibt.
Aus diesem Grund wird es bald eine Landesservicestelle für Engagierte geben. In jedem Regierungsbezirk wird es Ansprechpartner geben, die Förderprogramme von Kommunen, Ländern, Stiftungen und anderen Stellen überprüfen. Hier können sich Vereine informieren und beraten lassen, welche Förderung für sie passend sein könnte und welche Voraussetzung sie erfüllen müssen. Das erspart Engagierten viel Sucharbeit.
Als Staatssekretärin sind Sie viel unterwegs. Bleibt Ihnen da noch Zeit, sich neben diesem Amt zu engagieren?
Ja, das geht, dank einiger Organisationsarbeit. Ich bin Übungsleiterin in einem Sportverein in Bad Honnef und unterrichte Sonntagsmorgens mehrere Kurse, zum Beispiel in Zumba-Fitness. Manchmal würde ich dann zwar auch gern länger schlafen, aber wenn ich in den Kursen bin und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschwitzt und glücklich rausgehen, dann macht mich das sehr glücklich.
Interview: Annette Kiehl, wsp
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