09.09.2014

Freizeitparks statt Kohlehalden: Interview mit der Mafia-Journalistin Petra Reski

Westfalen (wh). Die Mafia-Reporterin Petra Reski hat ihren ersten Kriminalroman veröffentlicht. In "Palermo Connection" ermittelt die Staatsanwältin Serena Vitale gegen einen korrupten Politiker und erfährt, dass das Netz der Mafia weiter reicht, als sie dachte. Das Buch ist aktuell im Verlag Hoffmann & Kampe erschienen.

Im Interview mit "Westfalen heute" spricht Reski über die Faszination für das Verbrechen und den Wandel in Westfalen.

Frau Reski, Sie sind als Journalistin mit Ihren Mafia-Recherchen bekannt geworden. Nun veröffentlichen Sie Ihren ersten Kriminalroman. Wie kam es dazu?
Petra Reski: Über die Literatur lassen sich mehr Wahrheiten mitteilen als mit einem journalistischen Text, gerade zum Thema Mafia. Der französische Schriftsteller Louis Aragon sagte: Der Schriftsteller enthüllt die Wirklichkeit, indem er sie erfindet. Aragon nannte es "Wahr-Lügen". Was bei dem Thema Mafia, wo man, wenn man unbequeme Wahrheiten ausspricht, sich sehr leicht vor Gericht wiederfindet, natürlich umso reizvoller ist.

Um was geht es da konkret?
Mein Roman spielt in Palermo, hat aber auch viel mit Deutschland zu tun. Ich will zeigen, wie es die Mafia schafft, einzelne Personen, ja ganze Gesellschaften gefügig zu machen. Die Mafia riecht die Schwächen der Menschen wie der Hai das Blut. Wer hängt von wem ab? Wer ist wodurch erpressbar? Es gibt nicht nur Gute auf der einen und Böse auf der anderen Seite, sondern auch eine enorm große Grauzone aus Helfershelfern, die in den herrschenden Klischees über die Mafia nicht vorkommen. Häufig wird sogar die Propaganda der Mafia selbst in Artikeln, Filmen und sogar in Büchern verbreitet.

Im Mittelpunkt von "Palermo Connection" steht eine Staatsanwältin. Wollten Sie über diese Figur selbst zur Mafia-Ermittlerin werden?
Nein, diese Hierarchien, die schauerliche Bürokratie – das wäre definitiv nichts für mich. Meine Ermittlerin Serena Vitale führt wie viele Antimafia-Staatsanwälte ein Leben, das eine permanente Grenzerfahrung ist. Staatsanwälte, die die Mafia ernsthaft bekämpfen wollen, müssen sich zwangsläufig mit der Politik anlegen, weshalb sie sich tagtäglich Angriffen, Demütigungen, Bedrohungen ausgesetzt sehen – bis hin zum Verrat. Ich fand es interessanter, die Geschichte aus Perspektive einer Frau zu schildern, anstelle aus der des üblichen männlichen Helden. In Italien ist es gang und gäbe, dass Frauen als Staatsanwältinnen Mafiaermittlungen führen – oder Richterinnen von Mafiaprozessen sind. Es ist längst nicht mehr ein Privileg der Männer.

Wie fühlten Sie als Frau sich bei Ihren Mafia-Recherchen?
Manchmal war es ein Vorteil, eine Frau zu sein, weil Frauen häufig unterschätzt werden. Und bei Recherchen gibt es ja nichts Besseres als unterschätzt zu werden. Ich habe mich in Italien aber nie dadurch benachteiligt gefühlt, dass ich eine Frau bin.

Was fasziniert Sie an der organisierten Kriminalität?
Mafia ist immer großes Drama: Man findet auf kleinem Raum all das, was man als Schriftsteller sucht – ambivalente Helden, Verräter, Opfer und scheinbar Gute, die sich als Schurken entpuppen: Menschen mit all ihren Schwächen und Stärken. Und man kann beobachten, wie sich ganze Gesellschaften dem Bösen beugen. Man sieht Menschen in extremen Situationen " und zwar im wahren Leben.

Sie stammen aus Kamen und leben seit vielen Jahren in Venedig. Wie erleben Sie den Unterschied zwischen diesen Städten?
Wenn ich nach Hause komme, sehe ich, dass das Ruhrgebiet meiner Kindheit nicht mehr existiert. Was nicht unbedingt ein Verlust ist, heute haben sich die Kohlenhalden meiner Kindheit in Freizeitparks verwandelt. Ich finde es aber auch wichtig, die Spuren der Vergangenheit zu erhalten, Industriedenkmäler machen Geschichte sichtbar. In Italien und vor allem in Venedig begegnet man der Geschichte überall, bei jedem Schritt sieht man, was der Mensch hervorbringen kann. Allein wenn ich Zeitungen kaufen gehe, komme ich an drei gotischen Palazzi und einer Renaissance-Treppe vorbei. Es ist enormes Privileg, in Venedig zu leben.

Sind Sie denn auch in Italien ein Stück weit Westfälin geblieben?
Westfälin würde ich nicht sagen und zwar aus dem einfachen Grund, weil ich die Tochter ostpreußisch-schlesischer Flüchtlinge bin, die nach dem Krieg ins Ruhrgebiet kamen. Für Flüchtlinge ist das Wort "Heimat" immer mit Trauer und Verlust verbunden, deshalb habe ich mir schon als Kind vorgenommen, mich nie an einen Ort zu binden. Was mir allerdings nicht ganz gelungen ist, angesichts der Tatsache, dass ich schon seit 1991 in Venedig lebe. In Italien habe ich viel von meinen Ursprüngen wiedergefunden, die italienische Familie ist einer ostpreußisch-schlesischen Sippe seelenverwandt. Italiener sind lebensfroh und spontan, das kommt meinem Charakter sehr entgegen.

Was unternehmen Sie, wenn Sie mal wieder in Westfalen sind?
Ich verbringe Zeit mit meiner Familie, freue mich, wenn meine Mutter Wirsingrouladen kocht, besuche Freundinnen, suche nach Spuren meiner Kindheit, recherchiere für mein nächstes Buch und mache manchmal einen kurzen Abstecher nach Münster, wo ich studiert habe. Dort besuche ich meinen alten Professor, und das ist dann eine inspirierende Zeitreise.

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