Vor 400 Jahren stellten Adelige das Telgter Hungertuch fertig.  Foto: Thomas Pflaum/tompflaum.com
03.04.2023

Kunstvoll verhüllt

In der Fastenzeit verhüllen in zahlreichen Kirchen sogenannten Hungertücher Kreuze oder den Altarraum. Ein besonderes Hungertuch ist im Museum Religio in Telgte zu bestaunen. Es feiert seinen 400. Geburtstag.

Auf dem Weg zum „Geburtstagskind“ sind die Exponate im Museum Religio in Telgte hinter einer Wand aus Textilien verborgen. Nichts lenkt ab vom Telgter Hungertuch, das adelige Damen vor genau 400 Jahren vollendeten. Zu diesem Jubiläum bekommt das Fastentuch, eines der bedeutendsten seiner Art, eine außergewöhnliche Sonderausstellung mit dem Titel „Verhüllen und Offenbaren“ geschenkt.

Sonst sind es die sogenannten Hunger- oder Fastentücher selbst, die seit dem Mittelalter in vielen Kirchen Mitteleuropas während der Fastenzeit Kreuze, Bilder oder gar den Altarraum verhüllen, betont die Telgter Museumsleiterin Dr. Anja Schöne beim Rundgang durch die Ausstellung. Rund 7,40 Meter breit und 4,40 Meter hoch ist das Tuch aus dem Jahr 1623, das bis 1907 jährlich in der Passionszeit in der Telgter Pfarrkirche St. Clemens und St. Silvester aufgehängt wurde und das mittlerweile dauerhaft im Museum in einem eigens dafür geschaffenen Ausstellungsraum zu sehen ist.

Entstanden im Dreißigjährigen Krieg

Das Telgter Tuch zeigt in 33 Bildfeldern Szenen der Passion Christi, die Evangelistensymbole und einige alttestamentliche Szenen und erzählt damit die gleiche Geschichte wie die international bekannten Oberammergauer Passionsspiele, hat Anja Schöne festgestellt. „Beide sind im Dreißigjährigen Krieg entstanden“, verweist die Museumsleiterin auf eine weitere Gemeinsamkeit. 1633 legte die Oberammergauer Bevölkerung das Gelübde ab, alle zehn Jahre das Leiden und Sterben Christi aufzuführen, wenn das Dorf von der damals in Europa wütenden Pest verschont bliebe. 1634 fanden die ersten Passionsspiele statt, die seit 1680 alle zehn Jahre jeweils Hunderttausende Menschen anziehen.

Mobile mit Gewändern der Oberammergauer Passionsspiele 2022, Foto: Martin Zehren

Mobile mit Gewändern der Oberammergauer Passionsspiele 2022, Foto: Martin Zehren

Die Ausstellung in Telgte entstand in Kooperation mit dem Oberammergau Museum und dessen Leiterin Dr. Constanze Werner. Sie haben Objekte zur Verfügung gestellt, „die noch nie außerhalb von Oberammergau zu sehen waren“, sagt Anja Schöne. Szenen des Telgter Hungertuches mit dem Leiden und Sterben Christi treten in Dialog mit Hinterglasbildern und filigranen Schnitzereien aus dem bayerischen Museum, die dieselben Szenen darstellen. Das Museum Religio präsentiert auch einige der Gewänder der Oberammergauer Passionsspiele, von denen viele zu Verhüllungsmaterial für die kürzlich beendete Ausstellung „(Im)Materiell“ in Oberammergau umgearbeitet wurden.


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Zu den Höhepunkten der Schau in Telgte gehören Installationen von Hermann Bigelmayr („Blutstropfen“) und der Künstlerin Michaela Johanne Gräper, die sich auf vielfältige Weise mit dem Ausstellungsthema Verhüllen und Offenbaren beschäftigen: Da stehen Kreuze aus der Sammlung des Museums Religio – teils kunstvoll in Stoff eingewickelt – eindrücklich beieinander. Im Nachbarraum verbirgt ein Vlies-Stoff die Szenerie dahinter, ein Guckloch gibt den Blick auf die Figur eines auferstandenen Jesus aus Oberammergau frei. Sehenswert ist auch das von der Decke hängende Mobile mit Gewändern der Passionsspiele 2022: Sie bewegen sich ganz leicht und erzeugen dadurch ein reizvolles Schattenspiel an den Wänden.

Martin Zehren

„Verhüllen und Offenbaren“, bis zum 30. April im Museum Religio, Telgte, geöffnet Di. bis So. 11–18 Uhr, auch an den Feiertagen Karfreitag bis Ostermontag, weitere Infos gibt es hier.

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