Helmut Orwats Blick auf das Revier: Fensterputzerkolonne auf dem Weg zur Arbeit, Juni 1962, Castrop-Rauxel. Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen / Helmut Orwat
31.10.2023

„Täglich Bilder fürs Revier“

Das LWL-Museum Schiffshebewerk Henrichenburg präsentiert Fotografien von Helmut Orwat.

Helmut Orwat war stets nah dran. Nah am Alltag und den Menschen im Ruhrgebiet, speziell in und um Castrop-Rauxel. Seit 1960 arbeitete er als freier Fotograf für diverse Zeitungen und Zeitschriften, von 1984 bis 2000 war er bei den „Ruhr Nachrichten“ festangestellt. Jetzt sind rund 150 ausgewählte Fotografien im LWL-Museum Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop zu sehen, darunter auch einige seiner Arbeiten für den WESTFALENSPIEGEL.

Der Ausstellungstitel „Täglich Bilder fürs Revier“ lässt etwas von der Eile ahnen, mit der Orwat meist zu Werke ging. Aktuelle Geschehnisse mussten eben sofort festgehalten werden und zwar unter härteren Bedingungen als heute, wo digitale Kamera- und Nachbearbeitungstechnik die Sache doch deutlich erleichtert. Dennoch (oder gerade deshalb, weil eben noch viel mehr echte Handarbeit darin steckt) haben seine Bilder die Jahrzehnte überdauert und legen nun gültiges Zeugnis ab vom Ruhrgebiet, wie es einmal gewesen ist.

Politiker zu Besuch „auf Zeche“

Die besten Fotos haben gleichsam eine „Seele“, man merkt ihnen die Freude des Herstellens an. Ganz klar: Solche kontraststarken Ansichten müssen schwarzweiß sein, jede Kolorierung täte ihnen Gewalt an. Vorbilder Orwats waren Fotografie-Größen wie Chargesheimer und Otto Steinert, die sich gleichfalls im Revier umgetan hatten. Die Auswahl ist in Kapitel gegliedert, zum Beispiel: Industrie und Landschaft, Kanal und Schifffahrt, Beruf und Arbeit, Stadt und Verkehr, Familie und Freizeit. Die Aufnahmen vergegenwärtigen inzwischen verblasste, typische Merkmale des Ruhrgebiets und seiner Menschen, zunächst vor allem im Umkreis des Bergbaus – nicht nur in den Zechen selbst, sondern etwa auch am Straßenrand, wenn haufenweise Kohle geliefert wurde und nun in den Keller geschaufelt werden sollte. Auch sieht man prominente Besucher der Castroper Zeche Erin mit kohlschwarzen Gesichtern als kalkuliertes Signal für „Volksnähe“: den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel (1975) oder den damaligen CSU-Chef Franz Josef Strauß (1980).

Blick in die Ausstellung "Täglich Bilder fürs Revier. Pressefotografien von Helmut Orwat 1960-1992" im Hafengebäude des LWL-Museums Schiffshebewerk Henrichenburg. Foto: LWL/Harms

Blick in die Ausstellung „Täglich Bilder fürs Revier. Pressefotografien von Helmut Orwat 1960-1992“ im Hafengebäude des LWL-Museums Schiffshebewerk Henrichenburg. Foto: LWL/Harms

Vor allem aber hat Orwat die „ganz normalen“ Bewohner des Reviers in den Blick genommen. Die Camper am Dortmund-Ems-Kanal, den Taubenzüchter, die Frau von der Trinkhalle, den Klüngelskerl, Frauen in der Bochumer Opel-Montage, die Jury des Kleingartenwettbewerbs – und immer wieder spielende Kinder, ein Motiv-Genre, für das Helmut Orwat einen besonderen Blick hatte. Bemerkenswert auch die Fotos von einer Modenschau bei Hertie in Castrop oder vom Castroper Pferderennen und seinem Publikum. Da zeigt sich überdeutlich: Das einstige Revier war beileibe weder Paris noch Ascot, doch auch hier konnte man die karge Freizeit genießen, wenngleich längst nicht so edel stilisiert. Dafür aber ohne Dünkel.

Wandel in der Zeitungsfotografie

Helmut Orwat, fotografiert 1965. Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen / Helmut Orwat

Helmut Orwat, fotografiert 1965. Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen / Helmut Orwat

Orwat, 1938 als Bergmannssohn in Castrop-Rauxel geboren, erfasste imposante, zuweilen auch beängstigende Industrielandschaften, zeichnete dann aber auch den Niedergang der alten Industrien nach. Die Folgen werden fassbar, wenn Arbeiter gegen Schließungen demonstrieren und Orwat ihre letztlich vergebliche Entschlossenheit zu zeigen vermag. Als schon etliche Zechen dicht waren, bekam er Götz George vor die Linse: 1981 als „Schimanski“ beim Dreh zum Duisburger „Tatort“. Es war ein bedeutsamer zeitlicher Schnittpunkt: Die Industrie war im Schwinden begriffen, eine Figur wie Schimanski trug jetzt zur Legendenbildung bei.

Das nahende Ende des früheren Reviers zeigt sich bereits in Aufnahmen wie jener des sterilen City-Centers Herne (1975) mit seiner ganz und gar nicht mehr regionaltypischen Anmutung. Das war keine wirkliche Alternative zum schmutzigen Hinterhof der alten Zeiten. Überhaupt dokumentierte Orwat einige brutale „Bausünden“ im Ruhrgebiet. Noch betrüblicher: Sein Beruf brachte es mit sich, auch Unglücke ablichten zu müssen. Das Auto, das aus dem Kanal geborgen werden musste, den explodierten Tanklaster, den Trauerzug nach einem Grubenunglück. Leute wie Helmut Orwat gibt es nicht mehr. Tageszeitungen leisten sich kaum noch ambitionierte Fotografie. Statt dessen zücken häufig die Texter ihre Handys. Mit entsprechend dürftigen Ergebnissen.  

Bernd Berke, wsp

Die Ausstellung „Täglich Bilder fürs Revier. Pressefotografien von Helmut Orwat 1960–1992“ ist bis zum 21. Juli 2024 im LWL-Museum Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop zu sehen. Weitere Informationen hier. Das LWL-Medienzentrum für Westfalen hat das fotografische Lebenswerk von Helmut Orwat übernommen. Eine Auswahl von mehr als 3000 Motiven wurde digitalisiert und dokumentiert und kann hier online recherchiert werden. Ein Bestand von fast 1000 Orwat-Fotografien aus dem WESTFALENSPIEGEL kann in der Datenbank der Kommission Alltagskulturforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe recherchiert werden.


Lippe wird 900

Dieser Beitrag erschien zuerst in Heft 5/2023 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen zwei Ausgaben unseres Magazins im Rahmen unseres Schnupperabos kostenlos zu. Hier geht’s zum Schnupperabo


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