Vor allem ältere Menschen, aber auch kinderreiche Familien und Alleinerziehende sind von Armut betroffen. Foto: Pixabay
29.06.2022

Armes Ruhrgebiet

Die Armutsquote ist in Westfalen im zweiten Pandemie-Jahr weiter gestiegen. Das geht aus dem Paritätischen Armutsbericht 2022 hervor.

Besonders besorgniserregend ist die Situation im Ruhrgebiet, das die Forscher als „armutspolitische Problemregion Nr. 1“ bezeichnen. Mehr als jeder fünfte Bürger lebt dort in Armut. Im Länderranking würde das Ruhrgebiet zwischen Berlin und Bremen auf dem vorletzten Platz liegen. Der Unterschied sei jedoch: Im Ruhrgebiet lebten nicht 680.130 Menschen wie in Bremen und auch nicht 3,7 Millionen wie in Berlin. Vielmehr sei das Ruhrgebiet mit rund 5,8 Millionen Einwohnern der größte Ballungsraum Deutschlands, von denen 1,2 Millionen Menschen in Armut lebten, heißt es in dem Bericht.

Bundesweit hat die Armut im vergangenen Jahr eine Rekordmarke erreicht. Mit 16,6 Prozent mussten 2021 etwa 13,8 Millionen Menschen in Deutschland zu den Einkommensarmen gerechnet werden. Als einkommensarm gelten Menschen, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegen. „Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch. Noch nie wurde auf der Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen und noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie”, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Vor allem kinderreiche Haushalte sowie Alleinerziehende sind häufig von Armut betroffen. Gleiches gilt für ältere Menschen und Rentnerinnen und Rentner. Zudem stellen die Wissenschaftler fest: Altersarmut ist überwiegend weiblich.

Hartz-IV-Quote in Gelsenkirchen besonders hoch

Ein Blick auf die Teilregionen Westfalens zeigt durchaus große Unterschiede. Die Spanne der Armutsquoten reicht von Arnsberg (14,6 Prozent) und Münster (14,9) über Siegen (16,2), Bielefeld (17,4), Paderborn (18,4), die Emscher-Lippe-Region (19,7) und Bochum/Hagen (21,3) bis hin zu Dortmund mit 21,7 Prozent. Im Hinblick auf die Hartz-IV-Quoten liegt das Ruhrgebiet in einem Länderranking mit 14,4 Prozent weit über dem Bundeswert von 8,1 Prozent. In Gelsenkirchen lebt sogar jeder vierte Einwohner von Hartz IV. Noch dramatischer stellt sich die Hartz-IV-Abhängigkeit von Kindern dar. Sie liegt in Gelsenkirchen bei 39 Prozent, in Dortmund bei 28,3 Prozent und im gesamten Ruhrgebiet bei 22,9 Prozent. Zum Vergleich: Deutschlandweit ist diese Quote mit 12,3 Prozent deutlich niedriger, auch für das Land NRW weist die Quote mit 17 Prozent einen wesentlich geringeren Anteil aus.

Der Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK NRW Horst Vöge sagte zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Armut in der Bevölkerung: „Viele Instrumente der Ampel-Koalition haben Haushalte mit einem geringem Einkommen oder einer geringen Rente bisher kaum spürbar entlastet. Deshalb haben immer mehr Menschen Probleme, über die Runden zu kommen.“ Zusätzlich drohten weitere Belastungen, beispielsweise durch höhere Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen – und spätestens im kommenden Jahr bei den explodierenden Nebenkosten-Abrechnungen. Eine Armutskonferenz müsse in NRW daher zügig und mit höchster Dringlichkeit eingesetzt werden.

jüb/wsp

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