Polizistinnen und Polizisten aus Münster erhalten in der Villa ten Hompel Schulungen gegen Rassismus. Foto: Maren Kuiter
04.08.2023

„Das Konzept trägt Früchte“

Im Interview spricht der Leiter der Villa ten Hompel, Stefan Querl, über die systematischen Schulungen gegen Rassismus für Polizeibeamte in Münster und deren Wirkung.

Herr Querl, seit wann gibt es Schulungen für Polizistinnen und Polizisten in der Villa ten Hompel?
Schon seit der Gründung des Geschichtsorts Villa ten Hompel. Gleich zu Beginn hat der damalige Polizeipräsident von Münster seinen Beamten freigestellt, sich während der Dienstzeit für einen Besuch in der Ausstellung per Funk abzumelden. Auch saßen fast alle Fachermittler, die in Lippe und in Westfalen bei Strafprozessen gegen mutmaßliche NS-Verbrecher im Zeugenstand oder als Zuhörer waren, übrigens vorher schon einmal in Seminaren der Villa ten Hompel. Neu ist jetzt die Systematik. Die Polizei Münster als gesamte Behörde – von der jungen Anwärterin bis zum erfahrenen, vielleicht schon grau melierten Beamten – soll zukünftig von Seminaren bei uns profitieren.

Hierzu wurde jetzt eine Kooperation verabredet. Worum geht es dabei?
Die Münsterische Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf, Oberbürgermeister  Markus Lewe, Stadträtin Cornelia Wilkens und der Landesinnenminister Herbert Reul haben sich vehement dafür eingesetzt, dass geschichtsträchtige Orte und speziell NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen Ziele der Aus- und Fortbildung werden. Erinnern heißt nämlich wachsam bleiben in Sachen Menschenwürde. Polizei muss die Grund- und Freiheitsrechte schützen helfen, sie aber auch intern fest verankern. Solche Themen-Brücken schlagen wir dann auch: Die Villa ten Hompel war während des Zweiten Weltkrieges Sitz einer Polizeidienststelle auf der mittleren Ebene. Deren Mitverantwortung für Massenverbrechen und Entwürdigung von NS-Opfern lassen sich inzwischen wissenschaftlich belegen.

Der Leiter der Villa ten Hompel, Stefan Querl. Foto: Nicole Rademacher

Der Leiter der Villa ten Hompel, Stefan Querl. Foto: Nicole Rademacher

War die Villa selbst auch Ort von Verbrechen?
Nein, im Hause kam kein Mensch zu Schaden. Aber beispielsweise über die berüchtigten Bataillone und quasi deren Befehlsketten in den besetzten Gebieten europäischer Länder sind Polizeikräfte reihenweise mit zu Mordeinheiten geworden. Wobei auch die Beispiele für Eigensinn, Resilienz und für Widerstand hochinteressant sind, gerade wenn von heute darauf geschaut wird.


Lesen Sie auch unseren Beitrag Polizeischulungen gegen Rassismus


Wie erleben Sie die Beamten in den Schulungen? Wird das Thema Ernst genommen oder ist das Ganze eher eine PR-Aktion der Polizei?
Wer behauptet, die Polizei sei auf dem rechten Auge blind oder der Apparat ordne jetzt alibimäßig Gedenkstättenbesuche an, verkennt völlig, dass die Verantwortlichen aufrichtig um Lösungen für Probleme, um ehrliche Antworten und nachhaltige Angebote ringen. Zeitgeschichte und Zivilcourage sind eben nicht bloß Theorie beziehungsweise Schulwissen, sondern ein Angebot zur vertieften Auseinandersetzung. Niemand wird Fehlverhalten von Frauen oder Männern in Uniform komplett ausschließen können. Aber jeder und jede im Polizeidienst hat eine Chance verdient, die historischen Hintergründe rund um Antisemitismus und Rassismus genauer zu verstehen. Wir schaffen bei den Schulungen keine wundersamen Marien-Erlebnisse gegen Extremismus, aber liefern doch Denkanstöße für die Dienstgruppen.

Gegen das Vergessen

Lesen Sie, welche Orte und Menschen die Erinnerung an die Kriegsjahre und die Verbrechen der Nationalsozialisten auch 75 Jahre nach Kriegsende wach halten.

Werden die rechtsradikalen Chatgruppen, an denen sich manche Polizisten auch aus der Region beteiligt haben sollen, thematisiert?
Ja, aktuelle Fälle werden freilich auch durch die Teilnehmenden selbst schon angesprochen. Für uns ist aber wichtig, dass die Diskussion über Einzelfälle nicht von der wirklichen Frage wegführt: Was herrscht für ein Ton in der Gruppe insgesamt? Wie verhalte ich mich gegenüber dem Menschen mit anderer Hautfarbe, welche Sprüche sage ich unbedacht? Gibt es Alltagsdiskriminierung? Dabei heben wir in den Fallbeispielen vor allem die Perspektive von Betroffenen hervor. Wir diskutieren Handlungsräume und Wertvorstellungen von Polizistinnen und Polizisten im beruflichen Alltag, aber auch die heiklen Grenzsituationen, etwa im Bereich von Antisemitismus.

Wie sind die Reaktionen der Polizistinnen auf die Schulungen?
Das Feedback bestärkt uns, dass das Konzept Früchte trägt. Besonders eine Rückmeldung hat uns im pädagogisch-wissenschaftlichen Team beeindruckt und lange beschäftigt. Eine Polizistin schrieb ins Gästebuch : Ich dachte vorher, es gehe um Geschichte und werde alles recht langweilig. „Schlussendlich ging es dann eigentlich um mich selbst.“

Interview: Jürgen Bröker

Lesen Sie auch im Bereich "Gesellschaft, Kultur"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin