Kardinal Graf von Galen starb am 22. März 1946. Foto: Bistumsarchiv Münster
21.03.2021

Der unbeugsame Bischof

Der Todestag von Bischof Clemens August Graf von Galen jährt sich zum 75. Mal. Wir erinnern mit einem Text, der aus Anlass seiner Seligsprechung vor gut 16 Jahren im WESTFALENSPIEGEL erschienen ist, an den „Löwen von Münster“.

Welch ein Szenario: In den Trümmern seiner Stadt, seiner Domkirche tritt er auf – der soeben in Rom mit dem roten Kardinalshut ausgezeichnete „Löwe von Münster“, Clemens August Graf von Galen. Mit schleppender, immer wieder versagender Stimme dankt er den andächtig lauschenden Gläubigen: „…Dass Ihr hinter mir standet, und dass die damaligen Machthaber wussten, dass Volk und Bischof in der Diözese Münster eine unzertrennliche Einheit waren, und dass, wenn sie den Bischof schlugen, das ganze Volk sich geschlagen gefühlt hätte.“ So geschehen am 16. März 1946. Alte Wochenschauaufnahmen haben dieses Ereignis im Bild festgehalten.

Mit dem plötzlichen, ganz unerwartet eingetretenen Tod des Kardinals eine Woche später war ein Mythos geboren, dessen Wirkungsmacht bis auf den heutigen Tag in Westfalen Bestand hat. Die Erinnerung an ihn ist erstaunlich lebendig geblieben, nicht zuletzt deshalb, weil ihn das katholische Kirchenvolk, das sich ihm so tief verbunden fühlte, nie wirklich vergessen konnte. 2005, fast 60 Jahre nach seinem Tod, wurde er für sein unerschrockenes Auftreten gegen den Nationalsozialismus in Rom selig gesprochen.

Demut und Bescheidenheit

Clemens August, den die zahlreichen Geschwister in Zusammenziehung seiner ersten beiden Vornamen „Clau“ riefen, wurde am 16. März 1878 auf Burg Dinklage bei Vechta geboren. Er war das elfte von 13 Kindern. Das Geschlecht der von Galen gehörte zu den einflussreichsten Adelsfamilien des alten Fürstbistums Münster, was aber durchaus nicht bedeutete, dass man in Saus und Braus lebte. Im Gegenteil, adelsstolzes Selbstbewusstsein, das durchaus vorhanden war, ging einher mit einer aus tiefer Religiosität gespeisten Demut und Bescheidenheit.

Kriegszerstörter Dom von Süden (1945). Foto: Bistumsarchiv Münster

Kriegszerstörter Dom von Süden (1945). Foto: Bistumsarchiv Münster

In der rückwärtsorientierten Vorstellungswelt des katholischen Landadels war die untergegangene Herrlichkeit des Heiligen Römischen Reiches ebenso lebendig geblieben wie die Erinnerung an die „Kölner Wirren“ und den „Kulturkampf“ gegen das protestantische Preußen. Diese Erinnerungen wurden der nachfolgenden Generation als ethische Maxime für den Fall weitergegeben, dass noch einmal die katholischen Glaubensgüter durch politische Willkür angetastet werden sollten.

1904 in Münster zum Priester

So nahm es nicht Wunder, dass der junge Graf sich für den geistlichen Beruf entschied. Nach Studienjahren in Fribourg und Innsbruck wurde er schließlich 1904 in Münster zum Priester geweiht. Zwei Jahre später erhielt er einen Ruf an die St. Matthiasgemeinde in Berlin. Die großstädtischen Beobachtungen der fortschreitenden Entchristlichung und Entsittlichung machten tiefen Eindruck auf ihn und bestärkten seine Abneigung gegen den liberalen „Zeitgeist“ ebenso wie gegen den Sozialismus. Nach fast einem Vierteljahrhundert holte ihn der Bischof von Münster als Pfarrer an die Markt- und Stadtkirche St. Lamberti zurück. Vier Jahre später, im Herbst des Jahres 1933, wurde er sein Nachfolger. Damit begann jene entscheidende Lebensphase, die seinen Ruhm begründen sollte.

Und der Mensch Galen? Die zahlreichen Historiker, die sich später mit seiner Persönlichkeit beschäftigt haben, vertreten übereinstimmend die Auffassung, dass er ein recht unauffälliger Student ohne erkennbare Begabungen gewesen sei. Nicht eben ein brillanter Kopf. Gerne wird er als ein „Riese mit einem Kinderherzen“ bezeichnet. Und wenn er ein „Naturkind“ genannt wird, „empfänglich für alle Freuden des ländlichen Lebens“, so hebt das sicher zunächst ab auf seine jugendliche Vorliebe für das Reiten und die Jagd, soll aber wohl auch zum Ausdruck bringen, dass ihm jede nicht dezidiert christliche Ausformung von Kunst und Kultur ziemlich gleichgültig war.

Bischof von Galen mit seinem Hund im Garten. Foto: Heinrich Börsting

Bischof von Galen mit seinem Hund im Garten. Foto: Heinrich Börsting

„Er lebte ganz aus dem Glauben, eine unkomplizierte Natur von schlichter Hingabe an die Lehren und Übungen der Kirche.“ So hat ihn Max Bierbaum, der ihn gut kannte, einmal charakterisiert. Galens politisches Weltbild war ganz selbstverständlich konservativ. Für die Niederlage des Ersten Weltkrieges machte er den „Dolchstoß“ verantwortlich, den eine verhetzte Arbeiterschaft der kämpfenden Truppe hinterrücks versetzt hätte.

Die aus dem Zusammenbruch hervorgegangene Republik verachtete der „Herzensmonarchist“ (Rudolf Morsey) als „Tyrannei der Masse“. In dem auf dem Prinzip der Volkssouveränität basierenden Verfassungsstaat vermochte er nichts anderes zu sehen als eine erneute Abkehr vom göttlichen Ordnungsplan. Galens Partei, das Zentrum, folgte diesen rückwärtsgewandten Vorstellungen aber nicht, und als sich ihr liberaler Mehrheitsflügel zu einer Zusammenarbeit mit den demokratischen Kräften in Preußen wie im Reich entschloss, gerieten die rechtskonservativen Katholiken in die Defensive. Während zahlreiche westfälische Adlige daraufhin ihre Mitgliedschaft quittierten und zu den republikfeindlichen Deutschnationalen wechselten, hielt Galen der Partei die Treue.

1933 zum Bischof geweiht

Als die Strukturkrise der ungeliebten Republik gegen Ende der 1920er Jahre offenkundig wurde und eine Welle von Panik und Hysterie auch das Zentrum erreichte, mag Clemens August von Galen sich in seinen düsteren Prognosen bestätigt gesehen haben. Die von dem aus Münster stammenden katholischen Reichs­kanzler Brüning forcierte autoritäre Umgestaltung der Reichsverfassung fand ebenso seinen Beifall wie das von dem alten westfälischen Freund Papen geführte „Kabinett der Barone“ im Sommer 1932, das Hitler den Weg zur Macht ebnete. Als Galen schließlich am 28. Oktober 1933 im Dom zu Münster zum Bischof geweiht wurde, galt er nicht wenigen als ein „Mann der neuen Zeit“, dem nicht nur die katholischen Verbände, sondern auch SA und SS ihre Referenz erwiesen.

Nachdem er dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring seinen Eid geleistet hatte, bedankte er sich in seinem ersten Hirtenbrief im Oktober 1933 ausdrücklich dafür, dass „die höchsten Führer unseres Vaterlandes… die furchtbare Gefahr, welche unserem geliebten deutschen Volk durch die offene Propaganda für Gottlosigkeit und Unsittlichkeit drohte, erkannt haben und sie auch mit starker Hand auszurotten suchen“. Galen hat die Verfolgung und faktische „Ausrottung“ politisch Andersdenkender in jenen Jahren ebenso wenig thematisiert wie später die der Juden. Er schwieg.

Predigten gegen Übergriffe des Staates auf die Kirche

Begeistert begrüßte er erst die Aufrüstung und dann den Krieg, den Hitler 1939 begann. Der „Kreuzzug gegen den gottlosen Bolschewismus“ – der Angriffskrieg gegen die Sowjetunion – fand seine volle Zustimmung. Aber dann erhob er seine Stimme. Laut und unmissverständlich und ganz ohne diplomatische Rücksichten beklagte er 1941 in den drei Predigten, die ihn berühmt machen sollten, die Übergriffe des Staates auf die Kirche und ihre Gläubigen, geißelte er den Klostersturm, die Beschlagnahmung von Kirchengut und die Tötung von geistig Kranken. Die Welt hörte ihm zu, und die nationalsozialistische Führung wagte es nicht, gegen den Bischof vorzugehen, weil sie Angst hatte vor einem Aufstand des Kirchenvolkes.

Kriegerischer Mut des Aristokraten

War das politischer Widerstand? Ja und nein. Für die Nationalsozialisten gewiss. Für Galen nicht. Er, der auch weiterhin immer wieder seine nationale Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen bemüht war, hatte nur dort den Gehorsam verweigert, wo er die Rechte der Kirche und des Glaubens durch staatliche Übergriffe bedroht sah – ganz so, wie es auch seine Voreltern während des „Kulturkampfes“ gehalten hatten. Es war der kriegerische Mut des Aristokraten, der ihm hierzu die Kraft gab, und die Urteilsgewissheit des gläubigen Christen, die ihm die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht leicht machte.

2005 wurde dieser große, unmoderne und unbeugsame Bischof von Münster mit allen seinen Widersprüchen „zur Ehre der Altäre“ erhoben. Als junger Kaplan hatte er einmal an seinen Bruder geschrieben: „Bete für mich, dass der Herr, wenn er kommt, wie ein Dieb in der Nacht, mich nicht als säumigen Knecht findet.“ Nein, ein säumiger Knecht ist er gewiss nicht gewesen.

Volker Jakob

Dieser Beitrag erschien zuerst in Heft 5/2005 des WESTFALENSPIEGEL.

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