Taucher am Wrack der Wilhelm Gustloff. Foto: privat
28.01.2020

Der Wracktaucher aus Paderborn

Vor 75 Jahren riss das Flüchtlingsschiff „Wilhelm Gustloff“ bei seiner Versenkung in der Ostsee Tausende Menschen in den Tod. Anfang der 1990er Jahre entdeckte ein Ostwestfale die Überreste des Schiffes. 

Als der Paderborner Ulrich Restemeyer das Wrack der „Wilhelm Gustloff“ entdeckte, wäre er fast mit der Nase dagegen geschwommen. Die Überreste des Flüchtlingsschiffes, das Ende Januar 1945 vor der Küste Pommerns von einem sowjetischen U-Boot torpediert und versenkt wurde, liegen in etwa 45 Meter Tiefe auf dem Ostseegrund. „Dort unten sieht man so gut wie nichts“, sagt Restemeyer. Deshalb hat er die riesige dunkle Wand, die sich vor ihm im Licht der Tauchlampen auftat, auch erst sehr spät bemerkt. 

Es war die Bordwand der Gustloff, die bei ihrem Untergang am 30. Januar 1945 mehr als 9000 Menschen mit in die Tiefe gerissen haben soll. Bis heute gilt die Versenkung der Gustloff damit als verlustreichste Schiffskatastrophe der Geschichte. Dass Restemeyer das Wrack entdeckt hat, war kein Zufall. Im Gegenteil. Es war das Ergebnis eines akribischen Plans.

Lagebesprechung während der Expedition zur "Steuben": Ulrich Restemeyer (links) und Robert Ballard, der die Titanic entdeckt hatte. Foto: privat

Lagebesprechung während der Expedition zur „Steuben“: Ulrich Restemeyer (links) und Robert Ballard, der die Titanic entdeckt hatte. Foto: privat

Mitte der 1970er Jahre hatte er in Spanien tauchen gelernt. „Aber ich habe an den Fischen unter Wasser schnell die Lust verloren. Ich wollte zu Schiffswracks tauchen“, erinnert er sich. Natürlich auch, um vielleicht einen Schatz zu finden. Aber noch mehr interessierte ihn die Geschichte der untergegangenen Schiffe. Vor allem die Ostsee als einer der weltweit größten Schiffsfriedhöfe zog ihn in ihren Bann. Und so stieß er auch auf das Schicksal der Wilhelm Gustloff, der Goya und der Steuben, die allesamt in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs in der Ostsee versenkt wurden. 

Überlebender schreibt Buch über Gustloff-Katastrophe

1990 las Restemeyer, der gelernter Versicherungskaufmann ist und heute eine Reederei führt, das Buch „Flucht über die Ostsee“ von Heinz Schön, einem Überlebenden der Gustloff-Katastrophe. Er traf den Autor, der inzwischen in Bad Salzuflen lebte. Da stand für ihn fest, dass er zu diesem Schiff tauchen wollte. Die Geschichte spielte ihm dabei in die Hände. Die Wende 1990 ermöglichte es ihm, auch in polnischen Hoheitsgewässern zu tauchen. Nur ein halbes Jahr später machte er sich mit einem eigenen Schiff auf den Weg, um die Gustloff zu finden. 

„Aufgrund von Aufzeichnungen konnten wir die vermutliche Lage des Wracks auf ein Gebiet, das etwa so groß war wie die Stadt Warendorf, eingrenzen“, sagt der heute 61-Jährige. In 45 Metern Tiefe und bei absoluter Dunkelheit ist das aber immer noch ein sehr großes Gebiet. Außerdem war er damals noch ohne GPS oder andere digitale Hilfsmittel unterwegs. Und so waren die ersten beiden Tauchtage im Sommer 1991 auch nicht von Erfolg gekrönt. 

Hilfe von Fischern war nötig

Restemeyer entschied sich, mit den örtlichen Fischern zu sprechen. Diese verzeichnen in ihren Karten Hindernisse, die am Meeresgrund liegen und ihnen ihre Netze zerreißen. Einige Fischer hatten unabhängig voneinander an der gleichen Stelle ovale Anomalien in die Karten eingezeichnet. „Die Fischer dachten, es wären Felsen, für uns waren diese Anomalien ein wichtiger Anhaltspunkt für die mögliche Lage des Wracks“, sagt Restemeyer. 

Das Expeditionsschiff für Fahrten zu den Wracks: die Fritz Reuter. Foto: privat

Lagebesprechung während der Expedition zur „Steuben“: Ulrich Restemeyer (links) und Robert Ballard, der die Titanic entdeckt hatte. Foto: privat

Am nächsten Tag tauchte er wieder runter in die Dunkelheit und stieß förmlich vor die Bugwand eines sehr großen Wracks. Als er dann realisierte, dass er tatsächlich die Gustloff gefunden hatte, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. „Man wusste ja nicht, was einen da erwartet, welche gruseligen Entdeckungen man möglicherweise auch machen würde“, so der Taucher.

Gedenkfahrt organisiert

Insgesamt war er rund 40 Mal bei der Gustloff, auch bei den Wracks der anderen beiden torpedierten Schiffe, der Goya und der Steuben, war er. Eine zeitlang zählte Restemeyer zu den berühmtesten Tauchern. Heute taucht er immer noch. Aber nicht mehr so tief und nur noch aus Spaß. Am liebsten in klarem, warmen Wasser. 

Seine eigene Geschichte ist eng mit der der versenkten Schiffe verbunden. Auch deshalb erinnert er an die Katastrophen vor 75 Jahren. Aktuell organisiert er eine Kranzniederlegung in der Ostsee, dem Grab von vielen Tausend Menschen. Dorthin, wo die Steuben, die Goya und Gustloff auf dem Meeresgrund liegen, will er eine Gedenkfahrt machen. Auf die Fahrt möchte er auch Zeitzeugen und Überlebende der Katastrophen mitnehmen. Darunter eine Frau, die den Untergang der Steuben überlebte. In diesem Jahr wird sie 100 Jahre alt. 

Jürgen Bröker/wsp

Für seine Fahrt sucht Restemeyer noch Unterstützer. Daher hat er ein Spendenkonto eingerichtet:
Spendenkonto: Ulrich Restemeyer 
DE72 4726 0121 8802 3230 01

Lesen Sie auch im Bereich "Gesellschaft"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin