Ein schön gedeckter Tisch ist Hermann Oberle sehr wichtig. Foto: Robert Szkudlarek
02.11.2022

Die hohe Kunst des Bedienens

Hermann Oberle hat im Service seine Berufung gefunden. Seit 20 Jahren ist er für den Service in den WielandStuben in Hamm verantwortlich. Ein Besuch bei einem Meister seines Faches.

Den Tisch für eine Mahlzeit sorgfältig mit Porzellan, passenden Gläsern und Besteck zu decken, das ist für Hermann Oberle selbstverständlich – ob im Restaurant oder zu Hause. „Das drückt eine Wertschätzung gegenüber gutem Essen aus“, erklärt der Restaurantchef. Der Dienst am Gast ist für ihn mehr als ein Beruf, vielleicht sogar eine Lebensaufgabe. Sein Arbeitsplatz, die WielandStuben in Hamm, sind seit mehr als 50 Jahren eine gastronomische Institution am östlichen Rand des Ruhrgebiets. Gelegen im bergmännisch geprägten Stadtteil Wiescherhöfen, steht das Restaurant für eine klassisch französisch geprägte Küche.

Während Inhaber Lukas Erfurth die Küche der WielandStuben verantwortet, leitet Hermann Oberle gemeinsam mit Sommelière Ronja Erfurth den Service. Er plant Festessen und begrüßt Gäste, dirigiert die Kellnerinnen und Kellner und vermittelt bei Sonderwünschen. Und wenn frühmorgens Lieferanten mit frischer Ware vor der Tür stehen, ist Oberle ebenfalls vor Ort. Er wohnt gleich nebenan.

„Dienen von der Pike auf gelernt“

In der Gastronomie zu arbeiten, das ist für den 63-Jährigen vor allem eine Frage der Haltung. Bereits als Jugendlicher half er im Gasthaus seines Onkels im Badischen aus. Nach dem Schulabschluss absolvierte er eine Ausbildung als Restaurantfachmann in einem Hotel. Anfang der 1980er Jahre ging Oberle in die Schweiz, arbeitete in Grand Hotels als Oberkellner und wurde schließlich Restaurantchef. „Dort habe ich das Dienen von der Pike auf gelernt“, sagt er. Dienen? „Das ist die Kunst, die Wünsche eines Gastes zu erkennen, bevor er diese äußert“, erklärt Oberle. Aus der Welt der Gastronomie kann er viele Anekdoten erzählen. In der Schweiz lernte er die internationale „High Society“ kennen. Diskretion und diplomatisches Geschick waren gefragt, wenn es um die Frage ging, welcher Gast an welchem Tisch im Speisesaal platziert wurde.

Auch einige Jahrzehnte später und rund 800 Kilometer weiter nördlich treffen in den WielandStuben Menschen mit unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen aufeinander. „Wir haben Stammgäste, die Wert auf eine gewisse Etikette legen. Dann besuchen uns jüngere Menschen, die es legerer mögen. Meine Aufgabe ist es, beiden gerecht zu werden und in manchen Situationen auch zu vermitteln“, erklärt Oberle. Das Restaurant in Hamm sollte für ihn eigentlich nur eine berufliche Zwischenstation werden, daraus sind mittlerweile rund zwei Jahrzehnte geworden. Anzug, ein weißes Hemd und Krawatte gehören für den 63-Jährigen an seinem Arbeitsplatz zum guten Ton, selbst bei Temperaturen von über 30 Grad.

Arbeit im Hintergrund

Während Köche in den vergangenen Jahrzehnten zu Stars avanciert sind, bleibt das Servicepersonal in der Gastronomie traditionell eher im Hintergrund. Im Mittelpunkt steht das Wohlbefinden des Gastes. Hermann Oberle fühlt sich in dieser Rolle wohl. „Es ist mir eine Freude, wenn im Restaurant alles perfekt vorbereitet ist. Und das Schönste ist, wenn Leute, die zum ersten Mal bei uns essen, so zufrieden sind, dass sie zum Abschied sagen: Wir kommen bald wieder.“ Ob es denn auch Situationen im Restaurant gibt, die ihn aus der Ruhe bringen? Diese Frage beantwortet er erst nach einigem Nachdenken. „Wenn jemand das Besteck auf dem Tisch durcheinander bringt und sich dann beschwert, weil etwas fehlt, dann muss ich doch einmal kurz durchatmen.“

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Oberle hat im Service seine Berufung gefunden. Junge Menschen für eine Ausbildung in diesen Bereich zu begeistern, ist jedoch längst nicht mehr so einfach. Das zeigt der Fachkräftemangel und das belegen auch die Erfahrungen in den WielandStuben. Nur wenige Schulabsolventen wollen langfristig in der Gastronomie arbeiten. Zumal, wenn die Arbeitszeiten vor allem abends und am Wochenende liegen, berichtet der Restaurantchef. Nachdem in der Corona-Pandemie einige Kräfte das Lokal verließen, um in anderen Branchen zu arbeiten, werden nun wieder zwei angehende Restaurantfachleute ausgebildet. „Wirklich ein Glücksfall“, freut sich Oberle.

Ob er eigentlich selbst gern Gast ist? Als Antwort auf diese Frage erzählt Hermann Oberle von seiner badischen Heimat. Der Restaurantbesuch mit der Familie sei dort ein selbstverständlicher Teil der Alltagskultur, den er sehr schätze, berichtet er. Wichtig sei ihm dabei vor allem das Zusammenkommen an einem schön gedeckten Tisch. „Das hat eine große Bedeutung für mich.“

Annette Kiehl

Dieser Artikel ist aus dem Schwerpunkt „Tischkultur und Tafelfreuden“ aus Heft 5/2022 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Probeabos zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht es zum Probeabo.

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