Kein Kind wird abgewiesen
Die Corona-Pandemie hat die psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen verstärkt. Eine „Triage“ findet in den psychiatrischen Kliniken der Region aber nicht statt.
„Wir weisen kein Kind und keinen Jugendlichen ab, wenn eine stationäre Behandlung notwendig ist“, erklärt Privat-Dozent Dr. Manuel Föcker, Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Münster (UKM). Zu Beginn der Woche hatte ein Verbandsvertreter der Kinder- und Jugendärzte davon gesprochen, dass die große Nachfrage nach Behandlungsplätzen in den Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrien in Deutschland dazu geführt habe, dass nur noch Patienten, die suizidgefährdet seien, aufgenommen würden. Dem widersprechen die Kliniken in der Region.
Allerdings sind die Betten in der Klinik am UKM voll belegt und die Wartelisten werden länger. „Der Bedarf für Akutbehandlungen ist deutlich gestiegen. Ängste und depressive Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen ebenso zu wie Essstörungen oder Suizid-Gedanken“, sagt Föcker weiter.
„Es fehlt die stabilisierende Tagesstruktur“
Kein geregelter Schulalltag, viel Zeit zuhause, keine sozialen Kontakte und kein Sport zum Ausgleich. In der Pandemie war für die Kinder und Jugendlichen vieles neu. Weil auch viele Eltern im Homeoffice arbeiten, hat sich auch das Familienleben verändert. „Den Kindern fehlt die stabilisierende Tagesstruktur. Gleichzeitig fallen soziale Kontakte und Freizeitangebote weg – das erhöht das Risiko, psychisch instabil zu werden“, erklärt der Mediziner.
Diese Instabilität kann sich auf unterschiedliche Weise äußern. Ein Beispiel sind Essstörungen. So registrierten die kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) seit Beginn der Pandemie einen größeren Zulauf an jugendlichen Patienten in den Essstörungsambulanzen. Zudem sei der Bedarf nach stationären Behandlungsplätzen zum Beispiel an der LWL-Universitätsklinik Hamm für Kinder- und Jugendpsychiatrie inzwischen gestiegen, so dass das Angebot aufgestockt wurde, teilt der LWL mit.
Um weitere psychische Nachwehen der Pandemie gerade in der jungen Generation abzumildern, müsse nun der Übergang in den geregelten Alltag gelingen, sagt Föcker. Man dürfe den Fokus nicht ausschließlich darauf setzen, dass die Kinder den verpassten Unterrichtsstoff in möglichst kurzer Zeit nachholen. Vielmehr müsse man nun auch Maßnahmen ins Auge fassen, die die Resilienz der Schüler stärken. „Wünschenswert wäre zum Beispiel der Ausbau der psychosozialen Unterstützung für die Kinder und Jugendlichen an den Schulen“, so Föcker.
jüb/wsp