17.05.2023

Mehr Antisemitismus im Alltag

Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist in Nordrhein-Westfalen (NRW) zwar gesunken. Eine Entwarnung geben Experten aber nicht. Antisemitismus im Alltag sei weit verbreitet.

In der vergangenen Woche legte die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die neuesten Zahlen zu politisch motivierten antisemitischen Straftaten vor. Demnach gab es im vergangenen Jahr 331 solcher Vorfälle, der Großteil davon (287) wurde aufgrund rechtsextremistischer Ideologien verübt. 2021 waren noch 437 antisemitische Straftaten angezeigt worden. Doch der nominelle Rückgang gebe keinerlei Anlass zur Entwarnung. Die Zahlen zeigten, dass es durchschnittlich zu etwa sechs Straftaten pro Woche allein in NRW komme, teilte die Staatskanzlei mit.

„Die Zahlen zeigen nur einen Ausschnitt des täglichen Antisemitismus, dem sich jüdische Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt sehen“, sagt auch Micha Neumann von der für Westfalen-Lippe zuständigen Stelle der Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus (ADIRA) in Dortmund. Vermeintliche Witze oder die Verwendung von Stereotypen im Alltag, all das erlebten Jüdinnen und Juden nahezu täglich in der Region. Neumann berichtet zum Beispiel von Stickern mit antisemitischen Parolen, die zuletzt in einem Dortmunder Stadtteil häufiger verbreitet wurden.

Großes Dunkelfeld

Zudem kämen aktuelle Studien zu dem Schluss, dass der Antisemitismus an Schulen zunehme, so Leutheusser-Schnarrenberger. Daher plant die ehemalige FDP-Politikerin einheitliche Meldeformulare für antisemitische Vorfälle an Schulen entwickeln zu lassen. Auch die Zahl der telefonischen Beratungen sei im vergangenen Jahr bei der ADIRA nicht merklich zurückgegangen, so Neumann. Er und seine Kollegen beraten Bürgerinnen und Bürger, die von Antisemitismus betroffen sind und bieten psychosoziale Begleitung an. Zusätzlich zu den Beratungen bietet die ADIRA Präventionskurse an Schulen oder in Vereinen an.

In der nun vorgelegten Statistik wurden nur die angezeigten und strafrechtlich relevanten Vorfälle dokumentiert, heißt es weiter. Das Dunkelfeld wird ungleich größer eingeschätzt. Um mehr Licht in dieses Dunkelfeld zu bringen, hat im vergangenen Jahr die Meldestelle Antisemitismus (RIAS NRW) in NRW ihre Arbeit aufgenommen. Dort werden auch antisemitische Vorfälle registriert, die nicht strafrechtlich relevant sind, also beispielsweise eine beiläufige Bemerkung im Gespräch oder antisemitische Schmierereien. Die Frage der Strafbarkeit sei für die Aufnahme eines Vorfalls bei der RIAS nicht entscheidend, heißt es. Erste Zahlen will die Einrichtung in wenigen Wochen vorlegen.

jüb/wsp

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