„Mehr Menschlichkeit im Stadtviertel“
Im Interview spricht Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal darüber, welche Folgen Einsamkeit für das Leben in der Stadt hat – und was Dortmund dagegen tut.
Herr Westphal, was tut die Stadt Dortmund gegen Einsamkeit?
Wir haben bereits vor über 20 Jahren Seniorenbüros in den Stadtteilen aufgebaut, um dort Begegnungen zu ermöglichen. Damit war Dortmund bundesweit ein Pionier. Ähnliches gilt für Jugendfreizeitstätten. Entscheidend ist dabei aber auch die Frage, wie man Menschen überzeugt, dorthin zu gehen und Begegnungen zu suchen. Wer von Einsamkeit betroffen ist, der tut sich häufig schwer damit, die Schwelle zu solchen Einrichtungen zu überschreiten. Daher sollten all diese Angebote offen, einladend und nah sein – möglichst in der Nachbarschaft. Deshalb finde ich die Idee der NachbarBude in der Nordstadt so gut.
Der Impuls für diesen Kiosk kam aus Paris.
Genau – dort geht es in dem Projekt „Lulu dans ma rue“ darum, an einem Kiosk alltägliche Dienstleistungen für die Menschen im Quartier anzubieten. Wer diese in Anspruch nimmt, erhält unter Umständen sogar staatliche Zuschüsse. Dass auf diesem Weg mehr Menschlichkeit in das Stadtviertel kommt, spielt ebenfalls eine Rolle. Bei der NachbarBude in der Nordstadt stehen die Themen Begegnung und ehrenamtliches Engagement stärker im Mittelpunkt, es ist also eine Art Kontaktbörse für die Nachbarschaft.
Die NachbarBude wurde im Innovationssprint gegen Einsamkeit ausgezeichnet. Was ist das?
Hier geht es darum, die Innovationsförderung mit sozialen Fragen zu verknüpfen. In meiner früheren Position als Leiter der Wirtschaftsförderung habe ich mich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie man frische Ideen im Technologiebereich fördern und umsetzen kann. Das ist uns in Dortmund gut gelungen. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt: Nicht nur in Sachen Technologie braucht es Innovationen, sondern auch im sozialen Bereich. Daher stand für mich die Frage oben auf der Agenda, wie wir das erreichen können – die Idee des Innovationssprints wurde geboren. In diesem Wettbewerbsformat geht es darum, soziale Probleme mit unternehmerischen Mitteln zu lösen. Die teilnehmenden Teams wurden von Experten gecoacht und profitieren von einem breiten Netzwerk. Diesen Ansatz finde ich sehr spannend.
Was braucht es dann für die erfolgreiche Umsetzung?
Der Innovationssprint hat mit tollen Projekten und Preisträgern gezeigt, dass dieses Wettbewerbskonzept auch im Kampf gegen Einsamkeit funktioniert. Gleichzeitig ist aber klar, dass wir in die Verwirklichung und Etablierung von sozialen Projekten wie der NachbarBude Zeit und Geld investieren müssen. Zum Beispiel, um hauptamtliche Kräfte zu bezahlen, die als feste Ansprechpartner einen kontinuierlichen Betrieb gewährleisten. Das läuft nicht von allein, da sind die Kommunen gefordert.
Welche Folgen hat Einsamkeit für eine Stadt wie Dortmund?
Vertrauen und Nähe sind Grundpfeiler eines funktionierenden Alltags in einer Großstadt wie Dortmund. Wenn Menschen zunehmend losgelöst von anderen leben, sich vielleicht nur noch in Social-Media-Blasen bewegen, ist eine Stadt nicht mehr lebenswert. Der Kampf gegen Einsamkeit ist also ein Kampf für Zusammenhalt in der Gesellschaft überhaupt – und auch gegen eine Radikalisierung.
Innenstädte kämpfen gegen Leerstände und Verödung. Was tun Sie, um diese Orte als Treffpunkt der Stadtgesellschaft zu erhalten?
Wir sollten den öffentlichen Raum nicht denen überlassen, die diesen für Gewalt und Vandalismus missbrauchen. In der Dortmunder Innenstadt nutzen und bespielen wir als Kommune unsere Plätze, um Leben und Austausch dorthin zu bringen. Ob es die Weihnachtsstadt oder ein Feierabendmarkt ist oder zuletzt die große Party auf dem Friedensplatz zum Jahreswechsel. Rund 5000 Menschen haben dort trotz Regen friedlich gefeiert. Es gibt also ein Bedürfnis nach einem Zusammenkommen und einem Miteinander in der Gesellschaft – ein positives Signal.
Interview: Annette Kiehl, wsp
Lesen Sie mehr zum Kiosk gegen Einsamkeit im WESTFALENSPIEGEL 01/2024.