Neue Lust aufs Land
Leben auf dem Land ist während der Pandemie attraktiver geworden. Für Westfalen gilt das aber nur bedingt, zeigt eine aktuelle Studie.
Auch wenn zahlreiche Gemeinden in Süd- und Ostwestfalen und zum Teil auch im nördlichen Münsterland einen negativen Wanderungssaldo aufweisen, zeigt sich in Westfalen insgesamt eine Trendwende. Im Vergleich zu den Daten von 2008 bis 2010 konnten die Kommunen auf dem Land zwischen 2018 und 2020 ihren Wanderungssaldo in den meisten Fällen verbessern. Altena etwa war in der Studie vor zehn Jahren mit einem Wanderungsverlust von minus 18 je 1000 Einwohnern Schlusslicht in der Region. Zehn Jahre später beträgt der Wanderungsverlust noch minus vier Einwohner je 1000 Bürger.
Während zum Ende der 2000er Jahre die meisten Gemeinden in dünn besiedelten und entlegenen Regionen Einwohnerinnen und Einwohner durch Abwanderung verloren haben und vor allem die Großstädte und ihr Umland Menschen in großer Zahl lockten, zähle heute der ländliche Raum zu den Wanderungsgewinnern, heißt es in einer aktuellen Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung.
Bad Lippspringe mit größtem Wanderungsplus
Zu den größten Gewinnern der Region zählt die Gemeinde Tecklenburg im Münsterland. Dort war der Wanderungssaldo mit minus sieben vor zehn Jahren noch deutlich im Minus. Die aktuelle Studie weist dagegen einen Wanderungsgewinn von acht Bürgern je 1000 Einwohnern nach. Den größten Gewinn verzeichnete Bad Lippspringe mit einem Wanderungsplus von 13. Schöppingen dagegen hat offensichtlich am meisten Attraktivität eingebüßt. Vor zehn Jahren lag der Gesamtwanderungssaldo noch bei plus 11. Die aktuellen Daten zeigen einen Verlust von 14 Bürgern je 1000 Einwohnern.
Bei den meisten größeren Städten in Westfalen gibt es dagegen kaum Veränderungen. Ausnahme ist Münster: Dort sank das Plus im Wanderungssaldo von acht auf eins. „Die vielzitierte neue Landlust spiegelt sich im Umzugsverhalten wider. Unsere Analyse der Wanderungsstatistik zeigt auf, dass inzwischen tatsächlich mehr Menschen ihren Wunsch umsetzen und sich für ein Leben auf dem Land entscheiden als noch vor einem Jahrzehnt“, sagt Frederick Sixtus vom Berlin-Institut.
Junge Menschen zieht es in die Städte
Auffällig ist, dass vor allem Berufsstarter oder Menschen, die eine Familie gründen, für eine Belebung der ländlichen Regionen sorgen. Dagegen verliessen junge „Bildungswanderer“ zwischen 18 und 24 Jahren weiterhin in großer Zahl den ländlichen Raum, heißt es in der Studie. In Westfalen profitieren davon vor allem Universitätsstädte wie Bielefeld, Dortmund, Bochum und vor allem Münster. Dort lag der Wanderungssaldo der 18 bis 24-Jährigen bei 96 je 1000 Einwohnern.
Deutschlandweit zeigten rund zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne – ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für rund jede vierte Landgemeinde. Diese wiesen von 2018 bis 2020 im Schnitt Wanderungsgewinne von 4,2 Personen je tausend Einwohner auf, so das Berlin-Institut. Vor einem Jahrzehnt verloren sie jedes Jahr fast genauso viele Menschen durch Umzüge.
Corona-Lockdown bestärkt den Trend
„Die neue Landlust begann nicht erst mit der Corona-Pandemie. Die Entwicklung deutet sich schon länger an und hat seit 2017 Fahrt aufgenommen. Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt“, sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts. Gründe für die Trendwende gibt es viele: Das Leben in der Stadt wird zunehmend teurer. Die durch die Digitalisierung veränderte Arbeitswelt ermöglicht mehr Menschen, im Homeoffice zu arbeiten, womit eine weite Fahrt vom Land zur Arbeitsstelle in der Stadt entfällt. Schließlich hätten auch die Erfahrungen aus dem Corona-Lockdown dazu geführt, dass bei mehr Menschen in den Großstädten der Wunsch nach mehr Freiraum und Nähe zur Natur reifte, so Hinz.
jüb/wsp