Eine Junge sitzt am Wohnzimmertisch und erhält Distanzunterricht. Foto: imago Images/Fotostand
29.01.2021

„Nicht in jeder Familie funktioniert es“

Wie klappt es eigentlich mit der Digitalisierung in den Schulen und dem Distanzunterricht? Schulentwicklungsexpertin Dr. Ramona Lorenz ist optimistisch, spricht im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL aber auch die Schwächen an.  

Wie waren die Schulen auf den Lockdown und den Distanzunterricht nach den Weihnachtsferien vorbereitet? 
Es gibt mehr Schulen, die sich im Vergleich zum Frühjahr auf den digitalen Weg gemacht haben. Wir sehen viele kreative Lösungen. Es ist auch viel mehr Geld zur Verfügung gestellt worden. Auf der einen Seite wurden technische Voraussetzungen nachgerüstet. Außerdem haben sich die Lehrer weitergebildet. An einigen Schulen wurden auch Probelockdowntage veranstaltet. So konnten technische Hürden entdeckt und überwunden werden. An anderen Schulen wurde lediglich abgefragt, welche digitalen Medien den Schülern zur Verfügung stehen.

Welche Probleme gibt es aktuell?
An vielen Schulen sind die bestellten Geräte noch nicht angekommen. Damit fehlt eine wichtige Voraussetzung für den digitalen Distanzunterricht. Die zweite und aus meiner Sicht noch wichtigere Voraussetzung ist, dass die Lehrkräfte geschult werden müssen. Sie müssen wissen, wie sie mit der Technik umgehen können, aber vor allem müssen sie auch in die Lage versetzt werden, die pädagogischen Konzepte entsprechend anzupassen. Es ist etwas anderes, ob ich für den Präsenzunterricht meine Materialien und Lerneinheiten vorbereite oder das für den Distanzunterricht plane.

War Corona ein Treiber für die Digitalisierung an den Schulen?
Das auf jeden Fall. Man hat es ja auch vorher schon gesehen. Der Digitalpakt ist ja schon vor Corona realisiert worden. Allerdings sind die Mittel von den Kommunen eher schleppend abgerufen worden. Durch Corona sind diese Entwicklungen beschleunigt worden, zugleich haben Bund, Land und Kommunen weitere Mittel zur Verfügung gestellt.

Welche Erfahrungen bisher mit dem Distanzunterricht gemacht?
Wir haben zeitnah zum ersten Lockdown eine bundesweite Befragung bei Lehrern durchgeführt. Daran haben mehr als 3600 Lehrkräfte mitgewirkt. Ein zentrales Ergebnis war, dass die Lehrerinnen und Lehrer den Eindruck hatten, dass der Lernfortschritt bei den Schülern nicht im gleichen Maße voranschreitet wie im Präsenzunterricht. Viele Lehrer fühlten sich außerdem auf den Distanzunterricht nicht gut vorbereitet.

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Wird die pädagogischen Fortbildung bei all den Investitionen in Technik vergessen?
Die Konzepte für diese Fortbildungen sind auf jeden Fall Bestandteil der Planungen. Aber man muss auch sagen, dass es in der Kürze der Zeit schlicht nicht möglich war, die Vielzahl der Lehrer entsprechend zu schulen. Außerdem muss man bei dieser Diskussion beachten, dass die Voraussetzungen der Lehrkräfte sehr unterschiedlich sind. Es gibt Lehrer, die bisher kaum mit digitalen Medien gearbeitet haben, andere haben das von sich aus in den Unterricht eingebunden. Auch bei den Schulformen gibt es unterschiedliche Voraussetzungen. Die meisten weiterführenden Schulen sind zum Beispiel beim digitalen Konzept weiter als die Grundschulen.

Wie kann besserer Distanzunterricht gelingen?
Es gibt viele sehr gute Beispiele für den Distanzunterricht. Die Schwierigkeit liegt darin, diese auch zu fassen. Die Beispiele zu bündeln, Lehren daraus zu ziehen und die Konzepte auch nutzbar zu machen für andere Schulen. Das wäre der nächste wichtige Schritt, um das im Moment verbreitete Einzelkämpfertum zu beenden.

Worauf kommt es beim Unterricht auf Distanz besonders an?
Es ist essentiell, dass der Kontakt zwischen Lehrer und Schüler gegeben ist. Das kann auch im Distanzunterricht funktionieren und zwar auf verschiedenen Wegen. Es muss nicht die Videokonferenz mit der ganzen Klasse sein. Auch der Austausch über Chats oder das Telefon ist gut. Wichtig ist, dass die Schüler Feedback zu ihren Leistungen bekommen. Das ist wesentlicher Bestandteil des Lernprozesses. Lehrer müssen sich über den Lernfortschritt der Schüler auch im Distanzunterricht auf dem Laufenden halten.

Welche Chancen bietet der digitale Unterricht den Schülern?
Man weiß inzwischen, dass Schüler durch den Umgang mit digitalen Endgeräten besser motiviert werden können. Vor allem weil sie ihre Lernergebnisse auf ganz vielfältige Weise darstellen können. Teilweise gibt es Schulen, die eigene Schülerpodcast veröffentlichen. Die Gestaltung der Homepage durch die Schüler gehört dazu. Das motiviert. Sie sehen, welche Wirkung ihre Arbeit in der Schule hat.

Dr. Ramona Lorenz vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund

Dr. Ramona Lorenz vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund. Foto: privat

Aber es bleiben auch Kinder zurück.
Ja, das stimmt. Der soziale Kontakt der Schüler untereinander fehlt. Die erste Phase hat gezeigt, dass viele Schüler damit gut zurechtkommen. Es gibt aber auch viele Kinder, die noch mehr abgehängt werden. Auch sie müssten erst noch weitere Lernstrategien an die Hand bekommen, um selbstständig und motiviert zu arbeiten.

Welche Rolle spielen die Eltern?
Sicher eine wichtige. Aber die Unterstützung der Eltern fällt sehr unterschiedlich aus. Auch deren Wissen und Können stößt an Grenzen. Einige Kinder werden unterstützt, andere nicht. Dadurch wird die soziale Schere geöffnet. Für die Eltern wächst auch die Herausforderung neben der eigenen Arbeit das Lernen der eigenen Kinder zu betreuen. Das kann überfordern, vor allem wenn die Kinder noch jünger sind. Zum Problem wird es auch, wenn mehrere Kinder gleichzeitig im Distanzunterricht sind, aber nur ein Rechner oder ein ruhiger Raum zur Verfügung steht. Dann gibt es Konflikte und Spannungen. Wir müssen uns auch immer wieder bewusst machen: Nicht in jeder Familie funktioniert es.

Interview: Jürgen Bröker

Mehr zur Digitalisierung in der Schule lesen Sie in Heft 1/2021 des WESTFALENSPIEGEL. Hier geht es zur Inhaltsübersicht.

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