30.08.2021

„Rhetorik entscheidet keine Wahl“

Das erste „TV-Triell“ im Bundestagswahlkampf, das Aufeiandertreffen der Kanzlerkandidaten der Union, der SPD und der Grünen, ist am Sonntag bei RTL über die Bühne gegangen. Dr. Ortwin Lämke vom Centrum für Rhetorik, Kommunikation und Theaterpraxis der Universität Münster ordnet die Veranstaltung für den WESTFALENSPIEGEL ein.

Herr Dr. Lämke, am Sonntag lief das erste Triell im deutschen Fernsehen. Gab es aus Ihrer Sicht einen Gewinner oder eine Gewinnerin?
So weit würde ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Aber es ist sehr deutlich geworden, wofür die Kandidaten stehen. Das zentrale Thema bei Annalena Baerbock war Aufbruch, bei Olaf Scholz war es Respekt und bei Armin Laschet ging es um Stabilität. Das sind die Kernbotschaften, die mir aufgefallen sind. 

Woran machen Sie das fest?
Das wurde vor allem durch die vorbereiteten Schlussworten klar: Annalena Baerbock hat das auch mit ihrem Schritt vor das Pult verdeutlicht. Sie hat sich offen und selbstbewusst vor das Publikum gestellt. Das war ein geschickter Zug. Damit hat sie etwas anderes gemacht als die Kandidaten der Union und der SPD, die sich bei ihren Schlussworten weiter am Pult festgehalten haben.

Wie hat Olaf Scholz seine Botschaft rübergebracht?
Scholz hat den Habitus desjenigen, der fast schon Bundeskanzler ist. Er ist ja Vizekanzler und verfügt über eine Art Amtsbonus. Er bleibt sich treu und betont seine Sachpolitik. Alles wenig aufgeregt und solide. Er verkörpert dadurch einen überschaubaren Wandel, kein „Weiter so“. Wegen seiner Regierungsbeteiligung steht er für Kontinuität. Weil man sich aber nach der Wahl auch ein anderes Regierungsbündnis als Rot-Schwarz vorstellen kann, steht er gleichzeitig für Veränderung. Außerdem hat er den Zuschauern am Ende seiner Schlussrede das Heft des Handelns in die Hand gegeben: „Sie haben die Wahl, ich würde es gerne machen“, sagte er. Das war ein kluger rhetorischer Schachzug.

No CTA Found...

Und wie hat sich Armin Laschet geschlagen?
Dass er seine negativen Umfragewerte („Gegenwind“) in den Abschlussworten zum Thema gemacht, war nicht wirklich gelungen. Auch, dass er sich dann noch auf Adenauer, Kohl und Merkel bezogen hat, klang nach einem „Weiter so“, damit hat er eigentlich nur die Klientel der Union angesprochen. Er hat nicht verdeutlicht, was das Neue ist, für das er steht. Da hat er eine Chance liegen lassen, zum Beispiel auch den jungen Menschen ein Angebot zu unterbreiten. Für ein Schlusswort, bei dem die Aufmerksamkeit des Publikums besonders hoch ist, war das etwas zu wenig.

Zum Reden gehören auch Gestik und Mimik, haben sich die Drei diesbezüglich gut geschlagen?
Scholz wirkte mit seiner Art sachlich ruhigen Art schon etwas langweilig gegenüber Baerbock und Laschet, die beide doch recht angriffslustig waren. Bei Laschet wirkte die Gestik manchmal etwas gewollt auf mich, auch die Mimik. Man konnte schon fast den Eindruck bekommen, dass seine Berater ihm gesagt haben, „Du kannst nicht immer lächeln, Du musst auch mal skeptisch gucken.“ Baerbock kam dagegen jung und dynamischer rüber. Aber man hat ihr auch die Nervosität und den riesigen Druck angemerkt. Positiv war bei allen Dreien, dass sie sehr respektvoll miteinander umgegangen sind. Es ging nicht um die Person, es wurde niemand herabgewürdigt, sondern es ging um die Inhalte.

Dr. Ortwin Lämke. Foto: privat

Dr. Ortwin Lämke. Foto: privat

Was würden Sie den Kandidaten für das nächste Triell mit auf den Weg geben?
Frau Baerbock würde ich sagen: Weiter so, gut gemacht. Herrn Scholz würde ich sagen: Gar nicht schlecht, aber auch mal lächeln und die Hände vom Pult lösen. Armin Laschet würde ich sagen: Guter Anfang, aber es kann argumentativ noch besser werden. Es wird vielleicht nicht reichen, nur die Stabilität sichern zu wollen. Es müssten mehr Lösungen und neue Ideen angeboten werden.

Haben Politiker eigentlich Rhetorik-Coaches an ihrer Seite?
Ja, bei den Dreien bin ich mir sehr sicher, dass sie gecoacht werden. Das ist auch richtig und wichtig. Aber Rhetorik entscheidet die Wahl nicht. Die Menschen stimmen für die eine oder andere Partei, weil sie einen guten oder einen schlechten Arbeitsplatz haben, weil sie wissen, dass ihre Kinder in eine Schule gehen, in der alles in Ordnung ist, oder bei der der Putz von der Decke fällt. Auf diese Probleme der Menschen müssen Politiker reagieren. Wenn sie das rhetorisch geschickt machen, dann bringt es Punkte. Aber Rhetorik ohne Inhalt funktioniert nicht.

Interview: Jürgen Bröker

 

Lesen Sie auch im Bereich "Politik / Wirtschaft"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin