Agenturchef Lasse Rheingans. / Foto: Rheingans Digital Enabler
28.03.2019

Weniger ist eben doch mehr

Eine Bielefelder Agentur hat Ende 2017 den Fünf-Stunden-Tag eingeführt. Wissenschaft und andere Unternehmen blicken interessiert auf das Projekt.

Der zunehmende Fachkräftemangel in einzelnen Branchen erhöht den Druck auf Unternehmen, kreativ zu werden, um Mitarbeiter zu halten oder neu zu gewinnen. Gleichzeitig steigt aber auch die Zahl der Menschen, die sich im Job überfordert fühlen. Auf diese Entwicklungen hat die Bielefelder Agentur Rheingans Digital Enabler bereits im Herbst 2017 mit einem radikalen Schritt reagiert: Sie führte damals den Fünf-Stunden-Tag ein. Seither arbeiten die Mitarbeiter von 8 bis 13 Uhr ohne Einkommensverlust.

Das Projekt hat bundesweit für Aufsehen gesorgt und wurde erst kürzlich mit dem „New Work Award“ eines Business-Netzwerks ausgezeichnet. Auch die Wissenschaft interessiert sich für den Fünf-Stunden-Tag. „Aus unserer Sicht ist der Ansatz ein interessantes Experiment für die Umsetzung von New Work“, sagt Professor Sascha Armutat von der FH Bielefeld. Er forscht mit seinen Studierenden im Fachbereich Wirtschaft und Gesundheit vor allem zu den Themen Personalmanagement und Organisation.

Mitarbeiter sind sehr zufrieden

„Wenn es um eine Verbesserung der Work-Life-Balance geht, gibt es ja verschiedene Möglichkeiten. Man kann wie die Bielefelder Agentur die Arbeitszeit reduzieren. Aber auch mobiles Arbeiten, flexible Gleitzeit-Modelle oder Jahresarbeitszeitkonten tragen zur Zufriedenheit der Mitarbeiter bei“, sagt Armutat. Im Modell der Bielefelder Agentur werde die Arbeitszeit verdichtet, um ein Plus an Freizeit zu gewinnen. In Mitarbeiter-Befragungen haben Studierende aus Armutats Fachbereich herausgefunden, dass die Angestellten das als sehr positiv empfinden.

Lasse Rheingans im Gespräch mit Mitarbeitern. / Foto: Rheingans Digital Enabler

Lasse Rheingans im Gespräch mit Mitarbeitern. / Foto: Rheingans Digital Enabler

„Auch wenn die Mitarbeiter vereinzelt länger als die vorgegebenen fünf Stunden täglich arbeiten, empfinden sie das in der Regel nicht als Belastung. Selbst wenn es mal sechs Stunden werden, haben Sie am Nachmittag ja immer noch ziemlich viel Freizeit“, erklärt Armutat. In den Gesprächsrunden mit den Mitarbeitern sei deutlich geworden, dass das System insgesamt sehr gut funktioniert. Allerdings setzt das Modell bestimmte Kompetenzen voraus: Selbstorganisation, Disziplin, Konzentration.

Einsatz für Kulturwandel

Der Wissenschaftler hält ein Fünf-Stunden-Modell aber nicht in allen Branchen für realisierbar. „Dort, wo ich viel mit Kunden zu tun habe, wird es schwierig. Nehmen Sie zum Beispiel den Friseurberuf. Will ein Arbeitgeber dort einen verkürzten Arbeitstag für seine Mitarbeiter einführen, geht das nur, wenn er die Mitarbeiterkapazität erhöht, also zusätzlich Mitarbeiter einstellt. Ähnlich sieht es für Tätigkeiten am Fließband aus“, so der Forscher.

Agentur-Chef Lasse Rheingans glaubt, dass durch die gestiegenen Anforderungen in vielen Berufen konzentriertes Arbeiten kaum länger als fünf Stunden täglich möglich ist. Er möchte mit seinem Modell auch zum Nachdenken anregen. „Es geht um mehr als nur den Fünf-Sunden-Tag. Für mich ist ein wahrer Kulturwandel wichtig“, sagt Rheingans. Die Unternehmer erwarten Flexibilität und Offenheit für neue Technologien von ihren Angestellten. „Aber auch die Unternehmer müssen sich fragen, wie offen und flexibel sie selbst sind. Etwa dann, wenn es um Arbeitszeiten der Mitarbeiter geht“, sagt Rheingans.

Der Schlüssel liegt in der Effizienz

Er hat den Schritt zum Fünf-Stunden-Tag bisher nicht bereut, auch wenn er selbst meistens mehr als das Soll arbeitet. Weniger Zeit auf der Arbeit zu verbringen, bedeute ja nicht weniger Ergebnis. Der Schlüssel liege in der Effizienz. „Darüber hinaus haben wir viel aus dem Projekt gelernt und wir lernen immer noch“, sagt Rheingans. Er hat inzwischen viele Anfragen von Unternehmen bekommen, die sich erkundigen, wie er das Projekt in die Tat umgesetzt hat und mit welchem Erfolg. Die Anfragen kommen aus nahezu allen Branchen, aus dem produzierenden Gewerbe ebenso wie aus dem Pflegebereich oder dem Handel und sogar aus dem Ausland.

Und wie fällt das Fazit des Chefs aus? Noch einmal zurück zum Acht-Stunden-Tag? Rheingans kann sich das nicht vorstellen. „Es macht einfach keinen Sinn. Ich glaube nicht, dass durch eine längere Arbeitszeit, die Qualität der Arbeit besser wird“, sagt er. Und das sei doch schließlich entscheidend. Außerdem hat das Projekt noch einen weiteren Vorteil: Er kann in seinem Unternehmen keinen Fachkräftemangel feststellen. Seit dem Projektstart sind die Bewerberzahlen bei Rheingans Digital Enabler enorm gestiegen.

Jürgen Bröker

 

Lesen Sie auch im Bereich "Politik / Wirtschaft"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin