Das NRW-Finanzministerium will die WestSpiel Casinos privatisieren. / Foto: pixabay
13.07.2018

Das Land verlässt den Tisch

Der NRW-Finanzminister will die WestSpiel-Casinos privatisieren. Die Erwartungen an einen Verkauf sind hoch, ebenso die Befürchtungen in Dortmund und Bad Oeynhausen.

Privat und Staat liegen in Bad Oeynhausen nur wenige Meter voneinander entfernt: Die Tür rechts am „Werre-Park“ führt zum staatlichen Casino, links geht es in die „Merkur-Spielothek“ des Automatenherstellers Gauselmann. Mit der geplanten Privatisierung der landeseigenen WestSpiel-Casinos könnten diese Welten ein Stück weiter zusammenrücken. Der ostwestfälische Unternehmer Paul Gauselmann gilt als potenzieller Käufer.

Das Casino in Bad Oeynhausen ist eine von vier Spielbanken in NRW, die sich im Besitz der WestSpiel-Gruppe befinden; weitere Standorte sind Dortmund-Hohensyburg, Duisburg und Aachen. Anders als in den Spielhallen wird dort das „klassische Spiel“ wie Roulette, Black Jack und Poker angeboten und an den Automaten darf um höhere Beträge gespielt werden. An einer Rezeption kontrollieren Mitarbeiter die Ausweise der Gäste, so soll verhindert werden, dass minderjährige oder gesperrte Spieler Einlass erhalten.

Glücksgefühle beim Roulette

An den Automaten der benachbarten Spielhalle darf dagegen jeder sein Glück versuchen, der 18 Jahre oder älter ist; eine Ausweispflicht gibt es hier nicht. Im kühlen Luftzug der Klimaanlage sitzen an einem heißen Tag ein paar Senioren auf Hockern und werfen Geldstücke in die „Multigamer“, die mit ihrem Bildschirm eher an Computerspiele als an Automaten erinnern. Es ist still, jeder spielt für sich allein.

Ein Gewinn am Roulette-Tisch löst Glücksgefühle aus. Foto: pixabay

Ein Gewinn am Roulette-Tisch löst Glücksgefühle aus. Foto: pixabay

Im Casino sind an diesem Nachmittag ebenfalls nur wenige Gäste: Am Roulette-Tisch rollt die Kugel, ein paar Black-Jack-Spieler haben sich um einen Tisch gruppiert und werden von einem stets präsenten Finanzbeamten diskret beobachtet. Im Automatenbereich sind einige Spieler in die Welt der leuchtenden Bildschirme und rotierenden Symbole abgetaucht.

Spielbankdirektor Joachim Pollok ist seit Mitte der 1980er Jahre in den WestSpiel-Casinos tätig; zunächst auf der traditionsreichen Hohensyburg in Dortmund, heute in dem ostwestfälischen Kurort als Chef von fast 100 Mitarbeitern. Er selbst darf in den landeseigenen Spielbanken kein Geld setzen, doch er schwärmt vom Kribbeln, wenn die Kugel im Roulette-Kessel rollt und den Glücksgefühlen, die ein Gewinn auslöst: „Das ist genial.“

Der meiste Umsatz wird mit dem Automatenspiel erzielt

Früher galten Casinos als Ort, an dem sich die Reichen und Schönen versammeln. Szenen, in denen beim Roulette Geldbündel auf den Tisch geworfen wurden, prägten Hollywood-Filme. Die Realität sieht heute etwas anders aus. Im Casino Bad Oeynhausen gibt es keine Kleiderordnung und die Gäste sind vielfältig: Passionierte Spieler und Geschäftsleute, die Ablenkung suchen. Kurgäste, die sich die Nachmittagsstunden vertreiben, oder auch Studenten, die einen Junggesellenabschied feiern, zählt Pollok auf. Bargeld, Uhren oder auch Autoschlüssel dürfen übrigens auf keinen Fall gesetzt werden.

Der meiste Umsatz wird im Casino längst mit dem Automatenspiel gemacht. 129 „Slot Machines“ stehen dort sechs Roulette- und zwei Black-Jack- sowie zwölf Poker-Tischen gegenüber. Trotzdem prägt das klassische Spiel die Atmosphäre. Die kreisförmige Bar, leise Pop-Musik und Kunstwerke verleihen dem Raum ein wenig Glamour.

Ziel der Spielbanken ist es, „den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken“, heißt es im Glücksspielstaatsvertrag. Das Land habe zu diesem Zweck ein „ausreichendes Glücksspielangebot“ sicherzustellen. Konkret heißt das: Wer spielen will, der soll das unter fairen und sicheren Bedingungen tun können.

WestSpiel-Casinos „chronisch defizitär“

In Zukunft soll dies jedoch nicht mehr über eine landeseigene Gesellschaft passieren, sondern, ermöglicht durch eine Gesetzesänderung, in privater Trägerschaft. Auf Vorschlag von Finanzminister Lutz Lienenkämper hat die NRW-Landesregierung beschlossen, die staatlichen Anteile an WestSpiel in einem europaweiten Bieterverfahren zu verkaufen. „Das Casinospiel in Nordrhein-Westfalen wird künftig in der gleichen Qualität und mit dem bestmöglichen Spielerschutz stattfinden, nur in anderer Trägerschaft“, sagte der Minister.

Der Hintergrund der Entscheidung: Die WestSpiel-Casinos gelten als „chronisch defizitär“. Der FDP-Landtagsabgeordnete Ralf Witzel, einer der Treiber der Privatisierung, spricht von „jahrelangen wirtschaftlichen und kulturellen Fehlentscheidungen bei WestSpiel unter öffentlicher Regie“ und Belastungen für den Steuerzahler in Millionenhöhe. So lag 2016 das Jahresergebnis bei minus 2,9 Millionen Euro. Jedoch agiert die Gesellschaft unter besonderen Voraussetzungen. Sie muss mehr Abgaben leisten als andere Unternehmen. So wird der Bruttospielertrag, also der Unternehmensumsatz von WestSpiel, mit 50 Prozent besteuert. Knapp 40 Millionen Euro flossen 2016 auf diese Weise als Spielbankabgabe in die Wohlfahrtspflege sowie an die Gemeinden, die Standorte der Casinos sind. 2,8 Millionen Euro brachte das der Dortmunder Stadtkasse im vergangenen Jahr ein; in Bad Oeynhausen lag dieser Posten bei rund einer Million Euro. „Wir sind profitabel“, sagt WestSpiel-Sprecher Marco Lippert mit Blick auf diese Umstände.

Im Casino lockt der große Gewinn. / Foto:pixabay

Im Casino lockt der große Gewinn. / Foto:pixabay

Finanzminister Lutz Lienenkämper stellt klar, dass für einen privaten Eigentümer der Casinos die gleichen Bedingungen gelten sollen wie derzeit für WestSpiel. Hierzu zählen der Spielerschutz und die Abgaben an die öffentliche Hand. Die wertvolle WestSpiel-Kunstsammlung soll nicht verkauft werden.

Kritik gibt es dennoch. „Die Hohensyburg stellt einen wichtigen Attraktivitätsfaktor für Dortmund dar. Bei einer Veräußerung der WestSpiel-Gruppe sind somit auch Garantien bezüglich der Standortsicherung zu verhandeln“, reagierte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau skeptisch. Der Verkauf der Casinos dürfe nicht zu Lasten der städtischen Haushalte erfolgen. Sein Kollege Achim Wilmsmeier aus Bad Oeynhausen nahm die Kabinettsentscheidung ebenfalls überrascht und kritisch auf. Er wandte sich schriftlich an den Finanzminister und äußerte seine Sorge, dass ein gewinnorientiertes Unternehmen weniger rentable Spielbanken schließen oder Personal entlassen könnte.

Drei Millionen Euro geben die Casinos nach eigenen Angaben pro Jahr dafür aus, um Mitarbeiter zu schulen und Präventionsarbeit zu leisten, so dass gefährdete Spieler frühzeitig Hilfe erhalten. „Ich trage Verantwortung für das Spielverhalten der Gäste, die Gewinnmaximierung gehört nicht zu meinen Aufgaben“, sagt hierzu der Bad Oeynhausener Spielbankdirektor. Mit Gästen, die immer häufiger kommen, steigende Beträge verspielen oder nervös vor den Automaten sitzen, führe er Gespräche und lege ihnen zunächst eine Spielpause nahe. „Es ist eine Kunst, die Tasche wieder zuzumachen. Viele Gäste schaffen das auch“, sagt Pollok.

Gauselmann hat Interesse an Casino-Übernahme

Als letzte Konsequenz wurden im vergangenen Jahr 280 Spieler auf eigenen Wunsch oder durch die Entscheidung von WestSpiel gesperrt; sie dürfen die Spielbanken nicht mehr betreten. In den Automatenspielhallen ist dies derzeit praktisch nicht möglich. Dabei haben insbesondere solche Angebote ein besonders hohes Suchtpotenzial. Erst vor kurzem hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden, dass die Firma Gauselmann nicht verpflichtet ist, in ihren Spielhallen Hausverbote zu erteilen. Geklagt hatte ein Verband in Vertretung von zwei Spielsüchtigen, die sich zum eigenen Schutz sperren lassen wollten. Erfolglos. In NRW gebe es derzeit keine wettbewerbsrechtlichen Grundlagen, die Einlasskontrolle sei Sache des jeweiligen Spielhallenbetreibers, begründete das Gericht. In anderen Bundesländern, wie beispielsweise Hessen, wurden bereits Sperrdateien aufgebaut.

Suchtexperten befürchten, dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen den Spielerschutz aufweichen könnte. Schließlich geht es darum, mit krankhaften Spielern ausgerechnet die Kunden auszuschließen, die einen hohen Umsatz bringen. Glücksspiel sei kein Freizeitvergnügen wie jedes andere, sondern gefährlich, argumentiert Ilona Füchtenschnieder-Petry, Leiterin der Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW. Es könne sozialen Schaden anrichten und müsse daher streng kontrolliert werden und in staatlicher Hand bleiben.

Bei der Gauselmann Gruppe sieht man das anders. Das Unternehmen hat bereits Interesse an einer Übernahme der Casinos geäußert. Spielerschutz habe in den firmeneigenen „Spielotheken“ einen hohen Stellenwert, die Mitarbeiter würden regelmäßig geschult, betont ein Sprecher. Das Unternehmen setze sich außerdem dafür ein, die biometrische Gesichtserkennung flächendeckend für den Spielerschutz einzusetzen. Ein „Face-Check-System“ könnte dann gesperrte Spieler und Minderjährige am Eingang herausfiltern. Als Voraussetzung verlangt Gauselmann jedoch eine gesetzliche Regelung.

Im Casino Bad Oeynhausen sieht Joachim Pollok der Zukunft selbstbewusst entgegen. Die Spielbank befinde sich seit den letzten Jahren im Aufwind und verfüge über hochqualifizierte Mitarbeiter, sagt der Direktor: „Wir machen gewissenhaft unseren Job, egal wer der neue Betreiber sein wird.“

Annette Kiehl

Der Beitrag stammt aus dem WESTFALENSPIEGEL Heft 4_2018.

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