„Immer auf Sendung“
Britta Zur ist die jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands. Seit Ende 2019 ist sie in Gelsenkirchen für fast 1500 Mitarbeiter zuständig. Im Interview spricht sie über ihre Leidenschaft für Verbrecherjagd und ihre zukünftigen inhaltlichen Schwerpunkte.
Auf der Postkarte hinter Ihrem Schreibtisch steht „Energiebündel“ – beschreibt diese Karte Sie gut?
Ja, das trifft absolut zu.
Woran machen Sie das fest?
Ich bin eigentlich immer auf Sendung, habe selten Ruhepausen und bin immer präsent. Ich denke und entscheide sehr schnell, ich entscheide sehr schnell, bin sehr spontan. Woran sich in Gelsenkirchen vielleicht noch einige gewöhnen müssen, ist vielleicht, dass ich meine Entscheidungen auch gerne sehr schnell umgesetzt sehen möchte. Ja, ich glaube, ich bin ein Energiebündel. Insgesamt bin ich eher rastlos.
Üben Sie als Polizeipräsidenten Ihren Traumjob aus?
Ich denke schon. Manchmal kommt der Traumjob auch ganz unverhofft. Es ist ja nicht so, dass ich vor längerer Zeit schon gesagt habe, ich möchte unbedingt mal Polizeipräsidentin werden. Das ist kein klassischer Wunschberuf, auf den man zuarbeiten kann. Es gibt nur sehr wenige Polizeipräsidenten. Der Posten wird einem angeboten und dann muss man sich entscheiden.
Worauf legen Sie in Gelsenkirchen inhaltlich ihren Schwerpunkt?
Die Corona-Pandemie hat zunächst einmal andere Dinge in den Vordergrund gerückt. Aber langfristig werden wir uns sicher im Bereich Gewalt gegen Einsatzkräfte positionieren. Das war ja schon zuletzt als Staatsanwältin mein Schwerpunkt und daran werde ich auch hier in Gelsenkirchen weiterarbeiten. Ansonsten haben wir hier natürlich auch weitere wichtige Behördenschwerpunkte, die wir weiterverfolgen werden. Dazu gehören zum Beispiel die Bekämpfung des Taschendiebstahls und Wohnungseinbruchs. Aber auch die Bekämpfung der Clankriminalität ist für uns ein großer Schwerpunkt.
Weshalb engagieren Sie sich gerade im Bereich Gewalt gegen Einsatzkräfte?
Es kann einfach nicht sein, dass sich Menschen, die jeden Tag für die Gesellschaft auf der Straße den Kopf hinhalten, im Einsatz anpöbeln, beleidigen oder sogar verletzen lassen müssen. Dagegen möchte ich mit allen möglichen Mitteln vorgehen.
Wie würden Sie ihren Führungsstil beschreiben?
Ich bin auf jeden Fall keine Einzelkämpferin. Im Gegenteil, mir ist es wichtig, im Team zu funktionieren. Trotzdem ist natürlich klar, dass ich die Entscheidungen letzten Endes selbst treffen muss. Mir ist wichtig, dass wir uns mit Respekt begegnen. Ich behandle jede Kollegin und jeden Kollegen gleich und das erwarte ich auch von ihnen.
Sie sind im Rheinland aufgewachsen und nun für eine Stadt im Ruhrpott zuständig. Wie groß war die Umstellung?
Ich bin hier auf sehr herzliche und offene Menschen gestoßen. So kenne ich das auch aus dem Rheinland. Da war die Umstellung nicht so groß. Aber die Städte Düsseldorf und Gelsenkirchen unterscheiden sich natürlich schon. Ich lebe in Düsseldorf und habe eine Zweitwohnung in Gelsenkirchen. Ich mag die Menschen hier im Ruhrgebiet, sie tragen ihr Herz eher auf der Zunge. Das kommt mir sehr entgegen, denn das tue ich auch.
Sind Sie schon in Gelsenkirchen angekommen?
Grundsätzlich ja, aber die Corona-Krise hat den Start natürlich erschwert. Ich konnte meinen Fokus noch gar nicht so intensiv auf neue Projekte richten. Über einen sehr langen Zeitraum mussten wir natürlich erst einmal sehen, dass die Behörde funktionsfähig bleibt. Ohne Corona wäre ich bei dem Gefühl, ob ich angekommen bin in Gelsenkirchen, sicherlich weiter. Aber wir haben trotz Corona gut funktioniert. Unter diesen Bedingungen funktionieren zu müssen, hat uns trotz der sozialen Distanz auf eine Art auch näher zusammengebracht. Schön ist, dass wir hier ein sehr kollegiales Miteinander pflegen. Das hat den Einstieg für mich leicht gemacht.
Woher kommt ihre Leidenschaft für die Verbrecherjagd?
Ich glaube, dass mir das ein bisschen in die Wiege gelegt wurde. Mein Vater war Oberstaatsanwalt. Ich bin mit diesem Thema groß geworden. Für mich war sehr früh klar, dass ich auch in diesem Beruf tätig sein möchte. Ich wollte schon als Schülerin zur Staatsanwaltschaft.
Ernsthaft? Als Schülerin wussten Sie schon, dass Sie Verbrecher jagen möchten?
Ja. Schon in der Abizeitung habe ich geschrieben, dass ich Staatsanwältin für Kapitaldelikte werden möchte – und so ist es ja auch gekommen. Mit 29 Jahren bin ich Staatsanwältin geworden. Und das habe ich dann auch zehn Jahre gemacht – sehr gerne übrigens.
Sie sind die Karriereleiter ziemlich schnell hochgestiegen – was kann jetzt noch kommen?
Wenn ich das wüsste, säße ich in einem bunten Zelt vor einer Glaskugel. Aber ich habe gar keine Ahnung und plane das auch nicht. Ich habe gerade erst in Gelsenkirchen angefangen und würde schon gerne noch eine gute und lange Zeit hier verbringen. Ich weiß nicht, was danach kommt. Aber das spielt jetzt auch gar keine Rolle, damit beschäftige ich mich nicht.
Der Job als Polizeipräsidentin ist fordernd. Worin finden Sie Ausgleich?
Ich habe tatsächlich eine hohe Schlagzahl bei allem, was ich tue. Da ist es wichtig, Ausgleich zu finden. Für mich ist das auf jeden Fall meine Familie und ich treibe sehr viel Sport. Ich mache viel Fitness, gehe laufen und spiele Tennis. Hier im Präsidium gehe ich auch regelmäßig zum Dienstsport.
Die Präsidentin beim Dienstsport – da wird doch sicher Rücksicht genommen.
Wo denken Sie hin? Da steht richtig hartes Zirkeltraining auf dem Programm: Liegestütz, Kniebeugen, Gewichte stemmen – danach denke ich, ich sterbe. Aber das tut sehr gut. Außerdem ist es auch ein gutes Mittel für die Kontaktpflege. Dort kann ich recht ungezwungen mit den Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch kommen.
Nach der Tötung des Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten in den USA wurde auch in Deutschland über möglichen systematischen Rassismus bei der Polizei diskutiert. Was sagen Sie dazu?
Fakt ist: In den Reihen der Polizei ist für Rassismus überhaupt kein Platz. Wir dulden nicht den geringsten Anflug extremistischer Ansichten. Im Gegenteil: Gerade als Polizei müssen wir gegen Rassismus sehr deutlich vorgehen. Was wir auch ja auch tun. Allerdings kann und darf man auch keine Parallelen zwischen den Verhältnissen in den USA und hierzulande ziehen. Die Polizei in Deutschland ist richtig gut ausgebildet. In den USA werden die Kollegen teilweise nur wenige Wochen geschult.
Aber auch in Deutschland gibt es Ausreißer. Sie mussten selbst nur wenige Monate nach ihrem Amtsantritt in Gelsenkirchen hart durchgreifen.
Das stimmt. Ich habe einen Beamten, der unter Verdacht steht, rassistische Äußerungen getätigt zu haben, suspendiert. Wir sind immer noch die Polizei und treten für die Rechtsordnung ein. Deshalb ist mir der Schritt auch nicht schwer gefallen.
Bedeutet es Ihnen etwas, dass Sie die jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands sind?
Nein. Irgendwann bin ich das ja auch nicht mehr. Dann kommt wieder eine jüngere. Deshalb hat das keine besondere Bedeutung für mich. Aber die Signalwirkung ist wichtig. Unabhängig von Alter und Geschlecht oder anderen Äußerlichkeiten kann man Verantwortung tragen. Ich erhoffe mir auch, dadurch mehr Frauen zu motivieren. Es gibt viele Frauen, die sobald sie Kinder haben, ihre Karriere an den Nagel hängen. Das ist schade.
Wie haben Sie das denn geschafft, Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen?
Das frage ich mich auch jeden Tag. Ich habe immer Vollzeit gearbeitet habe. Für mich war Muttersein und Karriere nie ein Ausschluss. Ich habe immer gerne gearbeitet und wollte darauf auch nie verzichten. Ich wollte nicht lange studieren und dann hinterher nur noch Bauklötze sortieren. Aber klar, man muss an der einen oder anderen Stelle Abstriche machen.
Würden Sie eigentlich gerne Uniform tragen?
Auf jeden Fall. Ich bin aber keine Polizistin und darf daher tatsächlich keine Uniform tragen. Mal abgesehen von der leidigen Frage, die dann wegfällt – was ziehe ich an, glaube ich auch, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt würde. Zum Beispiel wenn ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen bei offiziellen Anlässen unterwegs bin, bin ich eine der wenigen, die nicht in Uniform kommt. Das finde ich tatsächlich schade.
Interview: Jürgen Bröker
Ein Porträt von Britta Zur lesen Sie im WESTFALENSPIEGEL Heft 4/2020. Zur Inhaltsübersicht gelangen Sie hier.