S04 - Meidericher SV 3:2 in Oberhausen. Ferdinand Zajons (dunkle Hose) am Ball, Vorrundengruppe Nord im Kampf um die Westdeutsche Meisterschaft. 28.04.1929
06.06.2018

Kicken auf Kohle

Ausstellung „Schichtwechsel“ zeigt Verflechtung von Fußball und Zechen im Revier

Kämpfen, kicken, siegen – so lieben es die Fußballfans im Ruhrgebiet. Wenn es spielerisch mal nicht so rund läuft, wollen sie die hochbezahlten Profis beim FC Schalke 04, der Borussia aus Dortmund oder auch dem VfL Bochum wenigstens malochen sehen. Denn malochen, das können sie hier im Revier. Das haben einige der Fans im Stadion noch auf den ehemaligen Zechen gelernt. Als „Hauer“ oder „Abzieher“ tief unten im Kohlenstaub der Strebe unter Tage. Die enge Verflechtung des Ruhrgebietsfußballs mit den Zechen im Revier zeigt die Ausstellung „Schichtwechsel – FußballLebenRuhrgebiet“ im Fußballmuseum in Dortmund. 

Doch ist der Ruhrgebietsfußball ursprünglich kein Sport der einfachen Arbeiter. Wie überall in Deutschland sind es vor allem Gruppen an Gymnasien, die sich anfangs für das urbritische Spiel interessieren. So wird der erste Fußballclub im Revier von Gymnasiasten ins Leben gerufen. Es ist der FC Witten 1892. Heute gibt es den Verein nicht mehr. 

Schalke ist der Bergarbeiter-Club

In Gelsenkirchen finden sich dagegen von Beginn an junge Bergleute und Lehrlinge aus der Industrie zum Kick auf der Straße zusammen. Wohl auch deshalb gilt der FC Schalke 04 bis heute als der Bergarbeiter-Club. Nach Feierabend bolzen die Jungs auf der Hauergasse im Stadtteil Schalke. Unweit der Zeche Consolidation, kurz „Consol“. „Ein Schacht der Zeche lag damals unmittelbar am Schalker Markt“, sagt Dr. Daniel Schmidt vom Institut für Stadtgeschichte (ISG) Gelsenkirchen. 1904 fassten sie den Entschluss einen Verein zu gründen. „Die Gründer waren tatsächlich 14- oder 15-Jährige Jungs, die eine Ausbildung auf Consol oder bei Küppersbusch machten“, sagt Dr. Christine Walther, Leiterin des Vereinsarchiv des FC Schalke 04. Damals hieß der Club noch Westfalia Schalke.

Doch am Spielbetrieb des Westdeutschen Spiel-Verbands durften die Schalker zunächst nicht teilnehmen. Die bürgerlich geprägte Organisation verweigerte den Gelsenkirchenern den Vergleich mit den anderen Teams. „Erst als man sich 1912 mit dem Turnverein 1877 zusammengeschlossen hat, erhielten die Schalker die Möglichkeit, in der Liga mitzumischen“, sagt Walther. 

„Fußball wird massentauglich“

Richtig Auftrieb bekommt der Fußball im Revier dann nach dem ersten Weltkrieg. Die Rahmenbedingungen für die Arbeit verändern sich massiv. Durch die Einführung des Acht-Stunden-Tages haben die Arbeiter mehr Freizeit. „Zugleich wird Fußball massentauglich. Er wird zum Zuschauersport und zu einer wirklichen Sportbewegung“, sagt Daniel Schmidt. 

Weil Zechenbetreiber und Unternehmer sich außerdem mehr für die Gesundheit ihrer Arbeiter zu interessieren beginnen, stellen sie ihnen Plätze zur Verfügung, auf denen ihre Angestellten nach Feierabend Fußball spielen können. Auch die Schalker profitieren davon. „1927 wird mit dem Bau der Glückauf-Kampfbahn begonnen“, sagt Christine Walther. Das Grundstück, das Material für die Tribünen und auch das Know-how der Architekten stammt von Consol. „Hätte das damals nicht so gut funktioniert und hätte die Zeche uns nicht derart unterstützt, gäbe es uns heute in dieser Form vermutlich nicht“, sagt Walther.  

Bis zu 70.000 Zuschauer haben in der Glückauf-Kampfbahn mit den Schalker Knappen mitgefiebert. Dicht an dicht gedrängt auf den Stehplätzen. Das Gemälde „Fußballplatz Schalke 04“, von Friedrich G. Einhoff, aus dem Jahr 1932, das in der Ausstellung im Fußballmuseum zu sehen ist, transportiert die außergewöhnliche Atmosphäre der damaligen Zeit. Grüner Rasen, volle Zuschauerränge, im Hintergrund ragen Schlote und dampfende Industriegebäude in die Höhe. 

SV Sodingen stand für Fußball im Schatten des Förderturms

Einige der Schalker Spieler arbeiten zu dieser Zeit tatsächlich auf Consol. Oft aber eher pro forma, um den Amateurstatuten des Westdeutschen Spiel-Verbands zu entsprechen. „Ernst Kuzorra zum Beispiel. Aber von Kuzorra ist ja ein Zitat überliefert, wonach die von ihm gehauene Kohle nicht mal zum Erwärmen eines Wasserkessels gereicht hätte“, sagt Walther. Zugleich habe es auch schon in den damaligen Jahren beim FC Schalke 04 Spieler mit Abitur gegeben, ergänzt Daniel Schmidt: „Ende der 1920er Jahre wurde nicht nur Malocher-Fußball auf Schalke gespielt. Spielerisch war das schon ein gepflegter Ball.“

Es gibt aber auch Vereine, in denen tatsächlich viele Kumpel spielen. Beim SV Sodingen zum Beispiel. Der Club aus dem Herner Stadtteil gehört zu den Bergabeitervereinen, die in den 1950er Jahren die Oberliga West aufmischen. Nicht nur der Fußballplatz der Grün-Weißen liegt auf dem Gelände der Zeche Mont Cenis. Die Zeche ist auch Arbeitgeber der meisten Kicker. Hans Dieter Baroth schreibt über den SV in seinem Buch „Jungens, euch gehört der Himmel“: „Sodingen […]  stand für Fußball im Schatten des Förderturms, umgeben von den typischen Bergarbeiterkolonien.“ Und weiter: „Die Grün-Weißen demonstrierten auf dem Platz, was auch ´auf´m Pütt´ zählte: Kraft, Zähigkeit und kompromisslose Härte gegen sich selbst und andere.“ Dem gegenüber standen die als „Lackschuhverein“ verspotteten bürgerlichen Clubs wie der SC Westfalia Herne. 

Schicht im Schacht

Die Zeiten sind vorbei: Sodingen spielt in den unteren Amateurklassen und Schalke in der Veltins-Arena. Dennoch gelten die Schalker immer noch als Verein der Bergarbeiter. So gehen die Fans der Königsblauen „auf“ Schalke. Vor jedem Heimspiel ertönt das Steigerlied und der Spitzname der Spieler „Die Knappen“ wird weiter Bestand haben. Daran wird auch das Ende der Zechenära im Revier nichts ändern. Denn in diesem Jahr ist Schicht im Schacht. Die letzte Zeche schließt. Der Fußball im Revier wird es überleben. Und mit ihm die vielen Mythen und Anekdoten aus den guten alten Ruhrgebiets-Fußballzeiten. 

Jürgen Bröker

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