„Mehr Staatsbürger als Staatsnutzer“
Der Direktor des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), Dr. Georg Lunemann, ist ein Befürworter des verpflichtenden Gesellschaftsjahres für junge Menschen. Im Interview erklärt seine Gründe.
Herr Lunemann, weshalb befürworten Sie ein gesellschaftliches Pflichtjahr?
Ich halte die Diskussion für sehr gut und richtig. Für mich persönlich hat der Begriff „Staatsbürger in Uniform” bei meiner ersten Berufswahl eine zentrale Bedeutung gespielt. Auf die Uniform könnte ich verzichten, aber mehr Staatsbürger als Staatsnutzer fände ich gut. Wir als LWL bieten gern eine Plattform. Mit der Vielseitigkeit der Aufgaben unseres Verbandes können wir jungen Leuten die Möglichkeit geben, solidarisch zu sein und Akzente zu setzen. Wir könnten aus dem Stand rund 500 Plätze für ein Gesellschaftsjahr anbieten.
An der Vorstellung, dass nur junge Menschen, diesen Pflichtdienst ausüben sollen, gibt es Kritik. Können Sie diese nachvollziehen?
Nur zum Teil. Sicher kann ich nachvollziehen, dass Pflichten nicht angenehm sind. Nur auf der anderen Seite steht die Erkenntnis, dass Geld nicht ausreicht und der Staat nicht alles für uns regeln kann. Auch wir sind gefordert. „Wir“ bedeutet für den jungen Menschen im Gesellschaftsjahr, den Horizont zu erweitern, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die aus ganz anderen Bereichen kommen, die andere Lebensrealitäten haben. So kann aus der Pflicht nicht nur ein Gewinn für die Gesellschaft, sondern auch für den einzelnen werden.
In der Diskussion ist auch ein „Optionszeitenmodell“ für den Gesellschaftsdienst, also ein Zeitbudget, dass jeder und jedem für bestimmte soziale Aufgaben zur Verfügung steht.
Ich stehe einem solchen Vorschlag kritisch gegenüber, da er auch sehr verwaltungsintensiv wirkt. Freiwillig kann sich schon heute jede und jeder engagieren. Und vor allem geht es mir nicht nur um soziale Aufgaben. Auch Tätigkeiten beim THW, in der freiwilligen Feuerwehr oder bei der Bundeswehr sollten im Gesellschaftsjahr möglich sein.
Interview: Jürgen Bröker
Mehr zum Gesellschaftsjahr lesen Sie auch in Heft 3/2023 des WESTFALENSPIEGEL.