04.01.2019

Natürlich klar

Das Wasserwerk Haltern zählt zu den größten seiner Art in Europa. Das Besondere ist aber nicht nur seine Größe: Feine und mittlere Sande dienen als natürlicher Filter.

Feucht und grau klebt der Nebel über dem Südbecken der Talsperre Haltern. Zum Schutz vor der in die Kleider kriechenden Kälte hat sich Magnus Meckelburg den Reißverschluss seiner Jacke bis hinauf zum Hals zugezogen. Der Leiter des Wasserwerks Haltern steht an ein weißes Geländer gelehnt und blickt auf das Wasser, über das der leichte Wind kleine Wellen schickt. „Hier unter uns ist die Entnahmestelle 1. Von hier aus fließt das Wasser zu den Versickerungsbecken“, sagt Mecklenburg.

Diese Stelle steht damit ganz am Beginn auf dem Weg zur Trinkwassergewinnung in einem der größten Wasserwerke Europas. Schließlich fließt bei mehr als 900 000 Menschen Wasser aus Haltern aus ihrem Hahn – von Gelsenkirchen bis hinauf nach Altenberge. Doch der Reihe nach.
Denn am Anfang ist das Wasser der Stever. Der kleine Fluss kommt aus dem Münsterland und fließt bei Haltern in die Lippe. Vor mehr als 100 Jahren hat man ihn auserkoren, die Wasserversorgung des nördlichen Ruhrgebiets sicherzustellen.

Eine Industrieregion hat großen Durst

Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts waren die verantwortlichen Wasserwerker im Ruhrgebiet gezwungen, neue Wege in der Wasserversorgung zu suchen. Denn der Durst der schnell wachsenden Industrieregion war enorm. „Mit dem sich nach Norden ausweitenden Bergbau musste man damals auch eine Wasserversorgung für die vielen Menschen und die Industrie sicherstellen“, sagt Meckelburg. Fündig wurde man schließlich in Haltern. Stauwerke wurden errichtet. Heute füllt die Stever den Hullerner und den Halterner Stausee mit einer Gesamtwasserfläche von gut 450 Hektar und einem Gesamtvolumen von mehr als 30 Millionen Kubikmetern Wasser.

„Dort drüben läuft das Wasser über große Rohre vom Nord- in das Südbecken“, sagt Werksleiter Meckelburg und zeigt zur anderen Seite des Beckens, über das einige Gänse schreiend hinweg flattern. Bei Einleitung in das Südbecken können bei Bedarf auch Aktivkohle oder Eisenchlorid beigemischt werden. Sie sollen Schadstoffe wie etwa Pestizide aus der Landwirtschaft binden und abbauen. „Diese Schadstoffe gelangen auch in die Stever und damit hier zu uns“, sagt Meckelburg. Für die Wasserwerker ist das technisch kein Problem, kostet aber viel Geld: 2015 mussten 103 Tonnen Aktivkohle wegen der Pestizide eingesetzt werden, eine Tonne kostet zwischen 1600 und 2000 Euro.

 

Bildunterschrift 1

Magnus Meckelburg vom Wasserwerk Haltern. Foto: Bröker

 

Mächtige Sandschichten als natürliche Filter

Das Wasserwerk Haltern kommt weitestgehend ohne Chemie aus, um am Ende ein glasklares und qualitativ hochwertiges Produkt zu erhalten. Möglich machen das die mächtigen Sandschichten im Erdreich. „Das ist wirklich das Besondere an diesem Wasserwerk“, sagt Meckelburg. Der Standort ist ideal ausgewählt. Feine und mittlere Sande bilden dort Schichten von bis zu 250 Metern Stärke. „Außerdem haben diese Sande hier auch noch eine extrem große Ausdehnung mit über 700 Quadratkilometern“, erklärt Meckelburg. Die Sande fungieren als natürlicher Wasserfilter.

Das Wasser aus dem Südbecken fließt unterirdisch durch Rohrleitungen zu den Versickerungsbecken. Ohne Pumpen, einfach aufgrund des natürlichen Gefälles des Geländes. Während Meckelburg zu einem dieser Becken vorangeht, erzählt er von der herausragenden Qualität des Wassers und von der Geschichte des Wasserwerks. Davon, dass mit dem Bergbau vereinbart wurde, unter dem Wasserwerk keine Kohle abzubauen. Zu groß war die Gefahr von Bergsenkungen, die den Sandschichten aber auch den Brunnen hätten schaden können.

Tiere fühlen sich im Wasserwerk wohl

Insgesamt sind 26 Versickerungsbecken auf dem Gelände des Wasserwerks verteilt. Satte 200 000 Kubikmeter versickern hier jeden Tag. So viel Wasser, wie in 1,6 Millionen Badewannen passen würde. Wasserwirtschaft ist flächenintensiv. Auf dem großen oft menschenleeren Areal des Wasserwerks Haltern fühlen sich auch viele Tiere wohl. Sie können hier weitestgehend ungestört leben. „Wir haben hier nicht nur zahlreiche Wasservögel“, erklärt Meckelburg. Auch ganze Wildschwein-Rotten haben an vielen Stellen ihre Wühlspuren hinterlassen. Die Tiere nutzen die Versickerungsbecken als Tränke.

Der Wasserqualität schadet das nicht. Denn der Filterungsprozess kommt ja erst noch. Einen Meter pro Tag versickert das Wasser durch die Sande und wird dabei auf natürliche Weise gereinigt. Das Verfahren, mit dem hier gearbeitet wird, heißt „Künstliche Grundwasseranreicherung“. Denn nachdem das Wasser durch die Sandschichten ausreichend gefiltert wurde, wird es dem Erdreich über etwa 230 Brunnen wieder entzogen und in die beiden Tiefbehälter gepumpt. Ein Prozess, der sich unsichtbar für die Besucher abspielt. „An unser Produkt kommt man nicht heran“, sagt auch Meckelburg. Das hat natürlich Sicherheits- und hygienische Gründe.

Klar und erfrischend

Erstmals zu sehen bekommt man das klare Nass in einem kleinen Raum neben der großen Pumpenhalle. Dort fließt es aus mehr als 40 Wasserhähnen. Sie sind alle genau gekennzeichnet. Die kleinen grünen und blauen Tafeln über den Hähnen zeigen an, von welcher Stelle das Wasser kommt, das hier gerade fließt. Das ist wichtig. Denn das Wasser wird regelmäßig analysiert. Dazu werden die Proben in spezielle akkreditierte Labore wie die Westfälische Wasser- und Umweltanalytik GmbH oder das Hygiene Institut in Gelsenkirchen gebracht.

Weiter geht es durch die große Pumpenhalle. Gegen den Lärm können sich Besucher hier Stöpsel in die Ohren stecken. Schließlich machen die riesigen Pumpen, die pro Stunde zwischen 8000 und 12000 Kubikmeter Wasser in die dicken Rohrleitungen drücken, richtig Krach. Auch hier ist das Produkt des Wasserwerks nicht zu sehen. Umschlossen von dicken blauen Rohren schießt es zu den Menschen im Ruhrgebiet und im Münsterland. Erst wenn sie ihre Wasserhähne aufdrehen, tritt es ans Licht. Klar und erfrischend.

Jürgen Bröker

Das Pumpenhaus im Wasserwerk Haltern

Das Pumpenhaus im Wasserwerk Haltern

Fakten zum Wasserwerk

Das Wasserwerk Haltern ist Trinkwasserlieferant für mehr als 900 000 Menschen und Gewerbe- und Industriebetriebe in mehr als 20 Kommunen im Münsterland und dem Ruhrgebiet. Etwa 100 Mitarbeiter sorgen im kontinuierlichen 3-Schicht-Betrieb dafür, dass die Kunden immer mit dem klaren Nass versorgt sind. 35 000 jährliche Proben im Bereich des Wasserwerks Haltern – vom Einzugsgebiet bis zum Wasserhahn – sorgen für eine permanente Qualitätsüberwachung.

Weitere Informationen auch auf: www.gelsenwasser.de

Die aktuell diskutierte steigende Nitratbelastung des Grundwassers ist auch in Haltern ein Thema. Allerdings liegen die gemessenen Werte bei Wasser aus dem Wasserwerk Haltern mit 18 mg/l weit unter dem Grenzwert der Trinkwasserverordnung von 50 mg/l. „Wir messen regelmäßig die Nitratgehalte an Förderbrunnen in der Haard und der Hohen Mark. An wenigen Brunnen sind stetig ansteigende Nitratwerte im Grundwasser zu beobachten“, erläutert Meckelburg. „Hier besteht gemäß europäischer Wasserrahmenrichtlinie ein Handlungsbedarf, um den Trend zu stoppen. Das Thema ist in der Kooperation ‚Stevertal‘ bereits aufgegriffen worden und gemeinsam mit der Landwirtschaft wird an Gegenmaßnahmen gearbeitet.“

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