Im Regional- und Nahverkehr droht es durch das 9-Euro-Ticket eng zu werden. Foto: Erich Westendarp(pixelio.de
19.05.2022

Es könnte voll werden

Die Verkehrsverbünde in Westfalen bereiten sich mit Hochdruck auf das 9-Euro-Ticket vor. Sie rechnen mit einer großen Nachfrage und hohen Auslastungen.

Das Angebot, im Juni, Juli und August bundesweit für je 9 Euro pro Monat im Nah- und Regionalverkehr fahren zu können, stellt die Verkehrsunternehmen vor große Herausforderungen. Es könnte eng werden in den Bussen und Bahnen. Derzeit liegt die Auslastung der Fahrzeuge im Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) bei etwa 80 bis 85 Prozent des Niveaus im vergleichbaren Zeitraum 2019, so der NWL gegenüber dem WESTFALENSPIEGEL – Tendenz steigend. Auf den schnellen und längeren Regional-Express-Linien sowie im Berufs- und Freizeitverkehr drohten daher Kapazitätsengpässe, wenn nun viele Menschen mit dem 9-Euro-Ticket hinzukommen, heißt es weiter.

Auch der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr geht davon aus, dass im Rahmen des Angebots mehr Menschen mit Bus und Bahn unterwegs sein werden. Vor allem Züge „zu reizvollen Zielen“ könnten in den kommenden Wochen sehr voll werden. Um sich auf den zusätzlichen Ansturm an Fahrgästen vorzubereiten, prüfen die Verkehrsunternehmen auf besonders stark frequentierten Strecken bereits, mehr Züge und Busse einzusetzen.

Mindereinnahmen sollen ausgeglichen werden

Nachdem das Gesetz zur Umsetzung des neuen Tickets am Freitag (20. Mai) vom Bundesrat abgesegnet worden ist, wollen die Unternehmen schon am Montag mit dem Verkauf der Fahrkarten beginnen. Gültig wird das Ticket dann am 1. Juni.

Für VRR, NWL und Co. bedeutet das 9-Euro-Ticket zunächst aber auch Verluste. „Auf den VRR als einer der größten Verkehrsverbünde Deutschlands entfallen 230 bis 240 Millionen Euro an Mindereinnahmen in diesen drei Monaten“, so ein Sprecher des Unternehmens. Der Bund hat zugesagt, der Verkehrsbranche die Mindereinnahmen auszugleichen. Zugleich hoffen die Verkehrsverbünde darauf, dass sie durch die Aktion Kunden zurück- und hinzugewinnen können.

Experte erwartet geringe Effekte

Professor Johannes Weyer, Experte für Techniksoziologie an der TU Dortmund, ist da nicht so optimistisch. Er hat vor vier Jahren eine Simulation zu kostenlosen Tickets für den Öffentlichen Personen Nahverkehr durchgeführt. Damals wollte man herausfinden, ob ein kostenloses Ticket mehr Menschen zum Umsteigen bewegt, um so den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor zu verringern. „Das überraschende Ergebnis lautete: es hat gar nicht viel gebracht“, sagt Weyer. Daher bezweifelt er, dass durch das günstige Ticket mehr Menschen für Bus und Bahn begeistert werden. „Es gibt Menschen, die einfach Spaß am Autofahren haben oder für die keine guten alternativen Bus- und Bahnverbindung zur Verfügung stehen. Diese Gruppe wird man auch mit dem 9-Euro-Ticket nicht zu Bahnfahrern machen“, sagt Weyer.

Dennoch begrüßt der Experte die Einführung des neuen Tickets: „Ich habe die Hoffnung, dass es etwas mehr bringt, als unsere Simulation vor vier Jahren zum kostenlosen Ticket gezeigt hat. Positiv ist außerdem, dass eine Debatte in Gang gekommen ist, die deutlich macht, wir müssen von den fossilen Brennstoffen weg. Ich sehe das Projekt daher eher als Anstoß. Wichtig ist, dass es nach den drei Monaten weitergeht.“

Strecken in OWL gesperrt

In Teilen Ostwestfalen-Lippes können die Menschen übrigens nicht so sehr vom 9-Euro-Ticket profitieren. Dort hat die Bahn für die Sommermonate auf einigen Strecken Reparaturen angekündigt. Einige Verbindungen sind daher gesperrt. Es verkehren Ersatzbusse. Die Arbeiten seien bereits weit vor dem Beschluss zum vergünstigten Ticket geplant gewesen, heißt es dazu vom NWL.

jüb/wsp

Das ganze Interview mit Prof. Johannes Weyer lesen Sie hier: „Eine Maßnahme allein ist kein Zaubermittel“

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