Der Anteil der älteren Menschen in der Bevölkerung wird größer. Foto: Barbara Eckholdt
06.05.2022

Wettbewerb um die Stimmen der Älteren

Serie zur Landtagswahl: Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigt, und damit auch der Einfluss dieser Gruppe bei Wahlen. Welche Konsequenzen hat das für die Parteien und ihre Programme? Wir haben bei Professor Christoph Strünck, Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der Universität Siegen, nachgefragt. 

Mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten in NRW  60 Jahre oder älter – leben wir bald in einer von Rentnern bestimmten Demokratie?
Wenn man sich das rein von der Altersverteilung in der Bevölkerung ansieht, ist das statistisch sicher so. Die Frage aber lautet: Was ist eine Rentner-Demokratie? Denn darin stecken zwei Annahmen. Die erste lautet, dass Rentnerinnen und Rentner vor allem auf die Rente schauen. Daher sind auch alle rentenpolitischen Themen wichtiger als andere. Und die andere Vermutung lautet, dass sich Menschen, je älter sie sind, umso weniger für die großen Zukunftsthemen interessieren.

Treffen diese Annahmen zu?
Für den ersten Punkt ist die Annahme sicher richtig: Für Rentnerinnen und Rentner spielt es natürlich eine große Rolle, wie sicher ihre Rente ist. Aber in der Diskussion gibt es immer auch einen Fehler. Wenn die Parteien nämlich über Rentenreformen sprechen, heißt es oft: Da kann man wenig machen, die Rentnerinnern und Rentner werden sich gegen Reformen entscheiden. Und diese Wählergruppe wird immer größer. Deshalb lassen wir das Thema besser. Aber der Großteil der heutigen Rentner wird ja von zukünftigen Reformen gar nicht mehr erfasst. Reformen betreffen eher die zukünftigen Ruheständler.

Was ist mit dem Interesse an Zukunftsthemen?
Ältere machen sich sehr wohl Gedanken um die nachfolgenden Generationen. Nicht nur, aber gerade dann, wenn sie selbst Kinder oder Enkelkinder haben, spielt das eine größere Rolle. Dadurch werden die Themen Klimakrise, Zukunftssicherheit, Friedenssicherung oder Stabilität auch für diese Generation wichtig.

Wer sind denn eigentlich die „Ältere“?
„Die Älteren“ gibt es nicht. Das ist eine sehr heterogene Gruppe. Man kann zwar sagen, dass Menschen, die älter als 65 Jahre sind, in der Regel Rentnerinnen und Rentner sind. Aber Lebenslage und politische Interessen sind im Alter mindestens so unterschiedlich wie in anderen Altersgruppen.

Serie zur Landtagswahl

NRW hat einen neuen Landtag gewählt. In unserer Serie blicken wir aus westfälischer Perspektive auf Ergebnisse, Themen und Parteien.

Die Wahlbeteiligung bei den Älteren ist höher als bei den Jüngeren. Warum?
Eine typische Annahme lautet: Das Interesse an Wahlen nimmt zu, wenn man berufstätig ist. Dann werden viele Themen relevant: Einkommen, Absicherung, Wohnen und so weiter. Damit steigt das politische Interesse und as bleibt dann bis ins hohe Alter. Es gibt aber auch die These, dass ein größerer Anteil der jüngeren Wähler der Auffassung ist, dass die Parteien ihre Interesse nicht oder nicht so stark vertreten.

Der steigende Anteil der Menschen, die 60 Jahre und älter sind, verleiht dieser Gruppe politische Macht…
Ja. Das sieht man jetzt schon: Die Parteien fokussieren sich stärker auf die Interessen der Älteren. Selbst die Grünen bilden auf Wahlplakaten ältere Menschen ab, sogar in Verbindung mit ihren Zukunftsthemen. Das ist umso beachtlicher, als die Grünen zu den Parteien zählen, die einen höheren Anteil an jüngeren, aber einen geringeren Anteil an älteren Wählern haben – anders als etwa die CDU. Trotzdem stimmen auch ältere Wählerinnen und Wähler für unterschiedliche Parteien ab. Auch in dieser Altersgruppe steigt der Anteil von Wechselwählern. Daher wird sich der Wettbewerb um die Stimmen der Älteren weiter verschärfen.

Gewinnt man Wahlen, wenn man die Interessen von Älteren in den Fokus zu rückt?
Statistisch gesehen, ja. Von der politischen Kommunikation her, ist das für die Parteien aber schwierig. Fast alle Parteien verpassen sich einen modernen Anstrich. Wenn sie dann sehr stark auf die Interessen der Älteren eingehen, ist es für das Image schwierig. Man kann hier durchaus von einer Falle der politischen Kommunikation sprechen, in die die Parteien tappen können. Das wollen sie nicht.

Prof. Christoph Strünck. Foto: privat

Prof. Christoph Strünck. Foto: privat

Ein Dilemma?
Naja. Die politischen Parteien sprechen ja unterschiedliche Zielgruppen an. Will man die Älteren erreichen, ist die Rente natürlich ein Thema. Aber auch die Pflege. Diese ist für die Älteren sehr relevant. Und es betrifft zugleich die Jüngeren, denn sie sind ja diejenigen, die sich möglicherweise um die älteren Familienangehörigen kümmern müssen. Daher möchten sie eine Entlastung in diesem Bereich. Es gibt also durchaus Themen mit Überschneidungen.

Sollten vor dem Hintergrund des großen Einflusses der Älteren bei Wahlen nicht schon 16-Jährige wählen dürfen?
Ein klares Ja. Zumal wir auch sehen, dass die Wahlbeteiligung bei den Jüngeren geringer ist, als bei den Älteren. Wir haben eine alternde Gesellschaft. Ein Ausgleich ist hier wichtig. Mit der Herabsetzung des Wahlalters würde man den Jüngeren früher eine Möglichkeit geben, sich an Politik zu beteiligen. Die Hoffnung ist, dass sie sich dann auch stärker für Politik interessieren.

Interview: Jürgen Bröker, wsp

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