„Wir sollten nicht mehr nur über Agrardiesel sprechen“
Antje Hollander arbeitet als Gemüsegärtnerin auf einem Biohof in Bielefeld. Zugleich engagiert sie sich im Verein der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL). Aktuell nimmt sie an einem Meisterkurs teil, um zukünftig auch junge Menschen in ihrem Beruf ausbilden zu können. Im Interview spricht die 29-Jährige mit dem WESTFALENSPIEGEL über die aktuellen Sorgen der Landwirte und ihre Proteste.
Auf den Demonstrationen und in den Protestzügen sieht man viele junge Landwirtinnen und Landwirte – warum gehen Sie auf die Straße?
Wir haben noch einmal besondere Herausforderungen, da es um unsere Zukunft geht. Zunächst einmal sind wir junge Menschen, die auf dem Land leben und die trotz ökonomischer Krisen und Klimakrise dennoch die Vision haben, dass wir gesunde Lebensmittel produzieren wollen. Das ist ein großer Schritt und die politischen Rahmenbedingungen machen es nicht einfacher.
Warum ist das aktuell schwierig?
Eine große Herausforderung ist das Thema Land: Wenn ich einen Betrieb gründen möchte, benötige ich Land. Doch die Pachtpreise für Ackerland haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt Außerdem gibt es viele außerlandwirtschaftliche Investoren, die Land kaufen und die Preise in die Höhe treiben. Entweder ich verschulde ich mich also oder ich kann mir gar kein Land kaufen und somit auch keinen Betrieb aufbauen.
Und wenn man doch Land bekommt?
Dann habe ich das Problem, dass ich durch die Folgen des Klimawandels keine Ertragssicherheit habe. Durch den Klimawandel gibt es große, unvorhersehbare Ernteausfälle. Zugleich unterliegen die politischen Rahmenbedingungen einem extrem schnellen Wandel. Es gibt keine Verlässlichkeit. Da brauchen wir als Junglandwirtinnen und Junglandwirte mehr Planungssicherheit und Unterstützung, etwa durch die Existenzgründungsförderung.
Dann sind die aktuellen Kürzungen bei den Subventionen nicht der Grund für die Proteste
Ganz genau. Es ist wichtig, dass wir nicht mehr darauf schauen, was die Proteste ausgelöst hat. Wir sollten nicht mehr nur über Agrardiesel sprechen. Besser ist es sich anzusehen, warum die Landwirtinnen und Landwirte gerade so wütend sind. Was treibt sie auf die Straße? Dafür müssen wir uns ansehen, wie die Situation auf den Höfen gerade ist und was in den vergangenen Jahrzehnten schief gelaufen ist. Die Frage muss lauten, wie können wir das gemeinsam, Landwirtschaft und Gesellschaft zusammen, verändern, um wirklich weiter zu kommen und die Landwirtschaft zukunftsfähig zu machen.
Haben Sie den Eindruck, dass das in der Gesellschaft und der Politik so ankommt?
Ich bin erst einmal begeistert, dass die Regierung so schnell auf unsere Proteste reagiert hat. Das ist ein positives Zeichen. Auch wir von der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft erfahren gerade viel Aufmerksamkeit. Das stimmt mich optimistisch, dass in der Gesellschaft auch von unseren Forderungen etwas ankommt. Wir freuen uns auf eine inhaltliche Auseinandersetzung in den kommenden Wochen.
Auf den Protesten liest man immer wieder Plakate wie „Die Ampel muss weg“ – wie ist Ihre Haltung?
Nur auf die aktuelle Regierung zu schauen, greift auf jeden Fall viel zu kurz. Deshalb grenzen wir uns auch zu 100 Prozent von rechtsextremen Umsturzphantasien ab. Auch die Forderung nach Neuwahlen hat rein gar nichts mit unseren bäuerlichen Interessen zu tun. Vor diesen Karren sollten wir unsere Trecker nicht spannen lassen. Aber es ist wichtig, dass wir auf die Straße gehen. Die Politik muss unsere berechtigten Forderungen jetzt hören. Ich habe da auch großes Vertrauen in unseren Berufsstand. Die meisten Landwirtinnen und Landwirte üben ihren Beruf mit großer Leidenschaft aus. Ich möchte aber auch noch einmal an alle Kolleginnen und Kollegen appellieren, gewaltfrei und mit Haltung zu demonstrieren für eine faire und nachhaltige Agrarwende und für Vielfalt auf unseren Äckern und in den Köpfen.
Sie besuchen gerade einen Meisterkurs und wollen bald junge Menschen zu Gemüsebauern ausbilden. Können Sie ihnen noch empfehlen, Landwirt zu werden?
Ich liebe meinen Beruf und ich übe ihn mit großer Leidenschaft aus. Es ist einfach großartig, gesunde Lebensmittel zu produzieren für möglichst viele Menschen. Das macht mir wirklich große Freude. Gleichzeitig muss ich auch sagen, dass es ein sehr hartes Berufsfeld ist, bei dem ich schon auch überlege, ob ich es noch weiterempfehlen kann, Landwirtin oder Landwirt zu werden.
Warum ist das so?
Die berufliche Realität vieler Landwirtinnen und Landwirte sieht einfach so aus, dass wir eine 60-Stunden-Wochen haben und harte körperliche Arbeit verrichten. Trotzdem bleibt unter dem Strich so wenig übrig, dass die meisten mit Altersarmut rechnen müssen oder wirtschaftlich sehr schlecht dastehen.
In unserem Dossier aus unserem Archiv haben wir beleuchtet, wie die urbane Gesellschaft den Kontakt zur Landwirtschaft verloren hat und welche Folgen das für die Baurinnen und Bauern der Region hat. Experten antworten auf die Frage nach Wegen aus dem Dilemma der Landwirtschaft. Lesen Sie mehr
Der aktuelle Situationsbericht des Deutschen Bauernverbands zeigt aber, dass Landwirte im vergangenen Jahr so viel Gewinn gemacht haben, wie selten.
Die Landwirtschaft ist ein hochsubventionierter Bereich. Man muss sich aber anschauen, wo diese Gelder hinfließen. Zwei Drittel der EU-Agrarsubventionen gehen an ein Drittel der Betriebe in Deutschland. Das liegt daran, dass die Subventionen an die Größe des Betriebs gekoppelt sind. Außerdem muss man festhalten, dass deutsche Betriebe weniger Subventionen erhalten als vergleichbare Betriebe in anderen EU-Staaten. Und die letzten Jahre liefen für die meisten Betriebe nicht so gut, die Gewinne des letzten Jahres waren bitter nötig, haben die strukturellen, politischen Probleme aber nicht gelöst.
Warum ist die Flächenförderung ein Problem?
Durch die Subventionsverteilung gibt es immer weniger Betriebe in Deutschland. Täglich geben im Durchschnitt zehn Höfe auf. Große Betriebe werden immer größer, kleine verschwinden. Dadurch reduziert sich auch die Vielfalt. Das ist nicht die Landwirtschaft, die wir haben wollen und die wir brauchen, um den Herausforderungen zu begegnen, die uns durch den Klimawandel gestellt werden.
Was wünschen Sie sich für ihre eigene Zukunft als Landwirtin?
Einen schönen Hof, auf dem nette Leute gemeinsam arbeiten mit guten Arbeitsbedingungen. Einen Ort, an dem die Menschen gerne gute Lebensmittel einkaufen.
Interview: Jürgen Bröker, wsp