Großbaustelle: die Lennetalbrücke bei Hagen. Foto: Imago Images/Rüdiger Wölk
13.04.2021

„Wir stoßen an Grenzen“

Elfriede Sauerwein-Braksiek leitet die Niederlassung Westfalen der neuen Autobahn GmbH. Im Interview spricht sie über das Sorgenkind Brücke, innovatives Bauen und die Zukunft der Autobahn.

Frau Sauerwein-Braksiek, jeder sechste Kilometer Autobahn in Deutschland ist in schlechtem Zustand, heißt es. Wie sieht es in Westfalen aus?
Der Zustand der Autobahnen in Westfalen ist gar nicht so schlecht, wie diese bundesweite Statistik andeutet. Unser Problem sind vielmehr die Brücken, die überlastet sind.

Elfriede Sauerwein-Braksiek. Foto: Autobahn GmbH

Elfriede Sauerwein-Braksiek. Foto: Autobahn GmbH

Wo liegt das Problem?
Als die Brücken in den 1970er Jahren gebaut wurden, gab es deutlich weniger Güterverkehr. Es herrschte die Vorstellung, dass auf der rechten Spur der Autobahn einzelne LKW fahren und ansonsten nur PKW unterwegs sind. Wie stark sich diese Situation verändert hat, ist jeden Tag auf der Autobahn sichtbar: Die rechte Fahrbahn besteht aus einer Wand von LKW und auf der mittleren Spur ist ebenfalls Schwerlastverkehr unterwegs. Hinzu kommt, dass die LKW teilweise doppelt so schwer sind wie in den 1970er Jahren.

Was ist in der Vergangenheit versäumt worden?
Unter Fachleuten werden die Probleme schon seit vielen Jahren diskutiert. Schwerpunkte sind teilweise anders gesetzt worden, als sie heute gesetzt werden. Man weiß auch erst heute um den konkreten Zustand der Brücken, weil wir seit einigen Jahren eine neue so genannte Nachrechnungsrichtlinie haben, die sehr genau ist und aktuelle Gegebenheiten besser berücksichtigt.

Was tun?
Wir müssen ungefähr zwei Drittel der Autobahnbrücken neu bauen. Das ist bereits jetzt für Autofahrer, die auf der A45 im Sauerland unterwegs sind, spürbar. Dort folgt eine Brückenbaustelle auf die nächste. Das sorgt immer wieder für Staus und den entsprechenden Frust. Klar ist aber auch: Wenn wir jetzt nicht bauen, müssen wir die Brücken bald ablasten. Das bedeutet, dass es Sperrungen geben wird und ein Teil der LKW Umwege fahren muss. Staus, Schwerlastverkehr auf Landstraßen und letzten Endes auch Verzögerungen in der Industrieproduktion sind dann die Folge. Keine gute Alternative.

„Baustellen so schnell wie möglich abwickeln“

Ärgernis Baustelle – was tun Sie, um die Belastung für Autofahrer zu verringern?
Unser Ziel muss es sein, die Baustellen, die ja nötig sind, so schnell wie möglich abzuwickeln. Das geschieht durch kluge Verkehrsführungen einerseits, in dem wir längere Streckenabschnitte mit mehreren Baustellen ganzheitlich betrachten. Andererseits helfen uns innovative Bauweisen beim schnelleren Bauen. Beispielsweise bauen wir ganze Brücken oder Brückenteile neben der Autobahn. In der Zeit wird der Verkehr gar nicht beeinträchtigt. Und erst, wenn die Brücken fertig sind, werden sie in Position gebracht und nehmen den Verkehr auf. Das haben wir kürzlich auf der A45 gemacht, indem wir eine neue Brücke auf einer Länge von fast 1.000 Metern innerhalb weniger Stunden quer verschoben haben.

Stoßen die Autobahnen bald an ihre Grenzen?
Der Druck durch den Güterverkehr ist spürbar gestiegen. Wir sehen, dass Parkplätze und Rastanlagen für LKW-Fahrer viel zu klein und völlig zugeparkt sind. Das ist teilweise gefährlich. Wir alle erwarten, dass pünktlich geliefert wird; ob in der Industrie, im Supermarkt oder beim Online-Shopping. Daher haben wir auch eine Verpflichtung, mehr für die Sicherheit der Menschen zu tun, die für uns unterwegs sind.

Müssen Autobahnen in Zukunft größer gebaut werden?
Wir müssen weiterhin investieren. Autobahnen immer größer, breiter und schneller zu bauen, das wird in Zukunft aber nicht mehr reichen. Hier stoßen wir an städtebauliche und auch an ökologische Grenzen. Wenn der Gütertransport wie erwartet weiter zunimmt, dann werden wir diesen Verkehr nicht allein auf der Straße bewältigen können. Wir müssen mehr Güter auf die Schiene und die Wasserstraßen bringen.

Welche Perspektiven kann die Digitalisierung für den Verkehr bieten?
Digitalisierung und autonomes Fahren sind wichtige Themen für uns. In einigen Bundesländern gibt es hierzu bereits Teststrecken. Es wird in Zukunft eine Verständigung zwischen Auto und Straße geben, ob es um Informationen zur nächsten Ausfahrt, zum Asphalt oder Baustellen geht. Das ist längst keine Zukunftsmusik mehr.

Zu Jahresbeginn hat die Autobahn GmbH Planung, Bau und Betrieb der Autobahnen in Deutschland übernommen. Was bringt das den Autofahrern?
Autofahrer bemerken von diesem Wechsel sicherlich zunächst kaum etwas. Die Baustellen oder auch die Grünpflege entlang der Fahrbahnen laufen wie gewohnt weiter. Es gibt aber wichtige strukturelle Veränderungen. Unsere Zuständigkeit hier in Westfalen endet nun nicht mehr an der Landesgrenze von NRW. Die Standorte in Deutschland können länderübergreifend handeln und besser voneinander lernen, zum Beispiel, wenn es um Modellprojekte wie zuletzt die Verschiebung der Lennetalbrücke geht. Das ist mir besonders wichtig.

Interview: Annette Kiehl

Elfriede Sauerwein-Braksiek, Jahrgang 1959, ist Ingenieurin. Rund 30 Jahre war sie in führenden Positionen beim Landesbetrieb Straßen.NRW tätig. Nun leitet die Recklinghäuserin die Autobahn GmbH Westfalen in Hamm. Seit dem 1. April 2020 ist sie für das Autobahnnetz vom hessischen Gießen bis zum niedersächsischen Leer verantwortlich.

Die Autobahn GmbH
Seit dem 1. Januar 2021 ist nicht mehr Straßen.NRW, sondern die Autobahn GmbH des Bundes für die Autobahnen in Westfalen zuständig. Die Reform soll dafür sorgen, dass nun länderübergreifend und effizienter geplant und gebaut wird.

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