15.01.2021

Arbeit für den Frieden

Auch junge Erwachsene engagieren sich beim „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“. Was ist ihnen dabei wichtig? Unser Autor Matthias Schröder hat drei von ihnen getroffen.

„Ich gebe den Toten ihre Namen zurück.“ Henriette Wenderoth weiß genau, warum sie sich im Jugendarbeitskreis des Vereins „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ engagiert. Die 22-Jährige aus Münster absolvierte 2017 ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Jugendbegegnungsstätte Ysselsteyn in der niederländischen Gemeinde Venray. Auf dem benachbarten Soldatenfriedhof ruhen die im Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden gefallenen Deutschen, die nicht in die Heimat überführt worden sind. Die Begegnung mit anderen Jugendlichen und die Gräberpflege veranlassten Henriette Wenderoth, sich weiter zu engagieren. Seither ist sie regelmäßig im Volksbund aktiv.

Bildungsreferent Daniel Gollmann schätzt das Engagement der jungen Erwachsenen: „Das ist aktive Friedensarbeit! Derzeit erleben wir mit dem Tod der Kriegserlebnisgeneration eine Veränderung der Erinnerungskultur. Bald gibt es keine Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges mehr, umso wichtiger werden Friedhöfe als authentische Orte der Erinnerung.“

Volksbund gründet sich 1919

In jedem Regionalbezirk des Volksbundes arbeiten inzwischen hauptamtliche Bildungsreferenten. Das sei vorbildlich, findet Stefan Schmidt, Landesgeschäftsführer NRW: „Die Aufgaben des Volksbundes sind heute vielfältiger als zu Zeiten der Gründung nach dem Ersten Weltkrieg.“ 1919 gegründet, übernahm der Verein die Pflege deutscher Kriegsgräber im Ausland – im Auftrag der Reichsregierung, der es gemäß dem Versailler Vertrag untersagt war, sich um die Toten auf fremdem Territorium zu kümmern. Unterstützung fand der Volksbund in breiten Kreisen der Gesellschaft, darunter Gewerkschaften, Rotes Kreuz, durch christliche und jüdische Gemeinden oder Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer, Walther Rathenau und Max Liebermann.

Imke Scholle, Henriette Wenderoth und Daniel Gollmann. Foto: Matthias Schröder

Stefan Schmidt betont, dass die Pflege von Kriegsgräberstätten im Ausland immer noch Kern der Arbeit sei ebenso wie die Suche nach Kriegsgräbern. Hier liege der Schwerpunkt in Osteuropa. Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Bildungsarbeit. So profitieren Jugendgruppen in vier Jugendbegegnungsstätten in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland in der Nähe bedeutender Kriegsgräberstätten von friedenspädagogischen Bildungsangeboten. Für seine Jugendarbeit wurde der Volksbund 2014 in Münster mit dem Internationalen Preis des Westfälischen Friedens ausgezeichnet.

Auseinandersetzung vor Ort

Workcamps sind für Jugendliche ein erster Zugang zur Arbeit des Volksbundes: Imke Scholle aus Freckenhorst engagiert sich seit Jahren in den Camps, erst als Teilnehmerin, heute auch als Co-Teamerin. Sie weiß, dass die Jugendbegegnungen nicht nur daraus bestehen, Grabsteine zu putzen: „Teilweise legen wir Gräberfelder ganz neu an, wir helfen bei der Recherche und wir setzen uns inhaltlich mit den jeweiligen Orten auseinander“, erklärt die 24-Jährige. Dabei fallen ihr immer wieder die großen Unterschiede in der Erinnerungskultur auf: „Auf dem Waldfriedhof Lauheide in Münster liegen britische Soldaten. Dort geht man viel persönlicher mit der Erinnerung an die Toten um. Zum Geburtstag werden bemalte Schilder aufgestellt und die Gräber geschmückt. Deutsche Gräber sind deutlich nüchterner.“

Gegen das Vergessen

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Der Friedhof Lauheide am Stadtrand Münsters ist ein sogenannter Lernfriedhof. Man wolle künftig in jeder Region einen zentralen Ort für pädagogische Angebote haben, so Stefan Schmidt. Hinzu kommen demnächst der Sennefriedhof in Bielefeld, der Hauptfriedhof in Dortmund und der Ehrenfriedhof sowjetischer Kriegstoter in Schloß Holte-Stukenbrock. „Die Schrecken des Krieges lassen sich in Lauheide anschaulich darstellen, hier liegen deutsche und britische Soldaten des Zweiten Weltkrieges, polnische und russische Zwangsarbeiter und zivile Bombenopfer“, verdeutlicht Daniel Gollmann. Er bietet Schulen kostenfreie pädagogische Angebote an, Begleitmaterial für den Unterricht sowie Seminare.

Beratung in Fragen der Gedenkkultur

Eine wichtige Aufgabe besteht für den Volksbund in der Beratung von Politik und Verwaltung in Fragen der Gedenkkultur, nicht nur zum Volkstrauertag, sondern auch für die heutzutage im Ausland ums Leben gekommenen Einsatzkräfte. Zudem kooperiere man mit Historikern in wissenschaftlichen Projekten wie dem geplanten Ausbau des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag 326 in Stukenbrock zu einer Gedenkstätte.

Anlässlich des 100. Jubiläums initiierte der wissenschaftliche Beirat des Volksbundes eine umfassende Studie zur wechselvollen Geschichte der Organisation unter Beteiligung eines renommierten Historikerteams. So stellte sich der Verein, dessen Selbstverständnis es ist, Erinnerungskultur zu betreiben, selbstkritisch der eigenen Historie. Denn „vor der Wirklichkeit kann man seine Augen verschließen, aber nicht vor der Erinnerung“, wie es der polnische Lyriker Stanisław Jerzy Lec treffend formulierte.

Matthias Schröder 

Dieser Beitrag erschien zuerst in Heft 6/2020 des WESTFALENSPIEGEL. Gerne können Sie den WESTFALENSPIEGEL testen. Zum kostenlosen Probeabo gelangen Sie hier.

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