Johannes Werthebach im Schein der Polarlichter. / Foto: Johannes Werthebach
03.12.2019

„Die Bedingungen sind wirklich extrem“

Ein Jahr im ewigen Eis – wie hält man das aus? Johannes Werthebach hat es erlebt. Der 33 Jahre alte Forscher der Technischen Universität Dortmund war zwölf Monate auf der Amundsen-Scott South Pole Forschungsstation. Seit Ende des vergangenen Jahres ist er zurück. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen. 

Es gibt wenige Orte auf der Erde, die ähnliche Extreme zu bieten haben: Temperaturen bis zu minus 70 Grad, im Sommer ist es nur hell, im Winter nur dunkel – wie bereitet man sich auf die Arbeit am Südpol vor?
Eigentlich kann man sich darauf nicht vorbereiten. Dafür sind die Bedingungen wirklich zu extrem. Ich habe mir im Vorfeld nur Gedanken darüber gemacht, wie mich das beeinflussen könnte. Ich habe versucht, mich auf die Bedingungen mental einzustellen, damit ich vor Ort nicht überrascht werde.

Und, hat es etwas gebracht? 
Eigentlich hat mich trotzdem alles überrascht. Es war alles spannend und neu. Allein bei der Ankunft aus dem Flugzeug auszusteigen und über den extrem kalten Schnee zu laufen, der in einem sehr hohen Ton knirscht, war schon sehr besonders.

Hatten Sie angesichts der extrem kalten Temperaturen überhaupt den Drang, nach draußen zu gehen?
Ja, tatsächlich. Ich habe mir jeden Tag vorgenommen, raus zu gehen. Und das habe ich auch geschafft. Die Kälte ist gar nicht so schlimm. Man muss sich halt nur warm genug anziehen. Die entsprechende Kälteschutzausrüstung wird auch gestellt. Damit kann man schon mehrere Stunden draußen bleiben.

Trotzdem – ausgerechnet der Südpol, warum muss man in diese unwirtliche Welt aufbrechen, um Forschung zu betreiben?
Es gibt verschiedene Gründe, warum der Südpol für die Forschung interessant ist. Klimatologisch ist dort die sauberste Luft, die wir auf der Erde haben. Wenn man also Veränderungen in der Atmosphäre untersuchen möchte, sollte man dorthin gehen. Für die Physik, mein Fachgebiet, ist der Südpol wegen seines großen Eispanzers interessant. In dem IceCube-Projekt, in dem ich dort gearbeitet habe, versuchen wir zum Beispiel Neutrinos aufzuspüren.

Johannes Werthebach in der Forschungsstation am Südpol. /Foto: Johannes Werthebach

Johannes Werthebach in der Forschungsstation am Südpol. /Foto: Johannes Werthebach

Das müssen Sie erklären: Was sind Neutrinos?
Neutrinos sind sehr kleine Teilchen, die von sehr weit her zu uns fliegen. Sie können aus unserer oder einer viel ferneren Galaxie stammen. Neutrinos sind deshalb so interessant, weil sie auf einer geraden Linie zu uns fliegen. Das kann das Licht zwar auch. Aber anders als Licht, das absorbiert werden und daher auch gar nicht erst bei uns ankommen kann, können Neutrinos auch problemlos durch Staubwolken fliegen. Damit ermöglichen sie uns einen viel tieferen Blick ins Universum als die üblichen Untersuchungsmethoden und Geräte.

Und diese Untersuchung funktioniert nur im Eis?
Genau. Wir brauchen einen sehr großen Eisklotz, um die Neutrinos zu erkennen, sie einzufangen. Neutrinos fliegen durch die Galaxie, durch die Erde und kommen dann am Südpol an. Wir hoffen, dass sie dort auf ein Eisatom treffen und mit ihm wechselwirken. Dann entsteht blaues Licht. In dem sehr klaren Eis am Südpol können wir diese Lichtreflexe sehr gut sehen. Deshalb forschen wir dort.

Was haben Sie am meisten vermisst?
Natürlich Familie und Freundin. Ein Jahr lang weg zu sein, ist einfach eine lange Zeit. Und ansonsten mag ich Obst sehr, sehr gerne. Das gibt es im Winter am Südpol auch nicht. Nur in den drei Sommermonaten haben die Flugzeuge frische Ware mitgebracht. Die restlichen neun Monate gab es Tiefkühlkost und essen aus der Dose. Das war schon sehr anstrengend.

Was haben Sie sich als erstes gegönnt, als sie wieder in der Zivilisation angekommen sind?
Ein Schälchen Erdbeeren. Als wir in Neuseeland gelandet sind, haben wir nur schnell die Sachen ins Hotel gebracht. Dann sind wir raus in den botanischen Garten, um nach dem ganzen Schnee und Eis mal wieder Pflanzen zu sehen und Blumen zu riechen. Als am nächsten Morgen die Geschäfte aufgemacht haben, haben wir uns Obst – auch ein Schälchen Erdbeeren – gekauft und sind wieder in den Botanischen Garten gegangen, um es dort zu essen.

Was hat Sie dort am meisten beeindruckt?
Die Natur, die Polarlichter, der Sternenhimmel, das Erlebnis überhaupt dort zu sein. Aber auch die Abgeschiedenheit und Einfachheit des Lebens dort. Es gibt kaum äußere Zwänge, anders als hier im Alltag. Ich bin sehr froh, dass ich dabei sein durfte. Diese Erfahrung werde ich sicher nicht wieder vergessen.

Interview: Jürgen Bröker

In seinem Blog „joatpole“ hat der Wissenschaftler seine Eindrücke von der Reise an den Südpol festgehalten. Mehr dazu hier.

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Dieser Beitrag wurde zuerst am 26.03.2019 auf Westfalenspiegel.de veröffentlicht.

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