In Gelsenkirchen ist ein Teilstück des Radschnellwegs 1 bereits fertiggestellt. Foto: Jürgen Bröker, wsp
28.03.2024

„Ich bin großer Fan von Fahrradstraßen“

Im Interview spricht Iris Mühlenbruch, Professorin an der Hochschule Bochum u.a. für Verkehrssysteme und nachhaltige Mobilität, über Radverkehrsplanung und eine neue Fahrradprofessur für Bochum. 

Weshalb ist das Fahrrad so wichtig für die Mobilitätswende?
Die Vorteile liegen auf der Hand: Es ist klimaneutral, spart Platz, verursacht keinen Lärm, es ist vergleichsweise kostengünstig und zugleich noch gesundheitsfördernd. Für die Mobilitätswende muss man aber neben dem Radverkehr auch den Fußverkehr und den ÖPNV in den Blick nehmen. Aktuell habe ich ein wenig die Sorge, dass der Fußverkehr vergessen wird. Da sind Themen wie Barrierefreiheit ganz wichtig. Etwa für Menschen im Rollstuhl oder mit Rollatoren.

Ist der Stellenwert des Radverkehrs in Städten gestiegen?
Absolut. Das Thema Klimaschutz hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Wir beobachten auch eine Zunahme von Radentscheiden. Mit solchen Bürgerinitiativen wird die Verwaltung aus der Bevölkerung heraus aufgefordert, sich für den Radverkehr zu engagieren. In zahlreichen Kommunen werden Radverkehrskonzepte derzeit entwickelt. Es gibt auch mehr Personal in den Verwaltungen. Und es werden tatsächlich mehr Radwege gebaut. Ein Beispiel im Ruhrgebiet ist die Radverkehrsanlage am Wall in Dortmund, oder die Springorumtrasse in Bochum.

Welche Stadt hat besonders viel für Radverkehr getan?
Es gibt in vielen Städten gute Beispiele für das Engagement im Radverkehr, ein guter Anhaltspunkt dafür ist zum Beispiel der ADFC-Fahrradklimatest. Da sieht man, dass in der Fläche an vielen Standorten der Radverkehr in den Fokus rückt. Wettringen oder auch Münster schneiden hier seit Jahren gut ab. Auch Dortmund kann man mit einzelnen Maßnahmen nennen, dort wurde nicht nur der Radwall gebaut. Man hat zugleich auch im Innenstadtbereich Fahrradbügel aufgestellt, wo die Leute ihre Räder abstellen können. Manchmal sind es auch kleine Bausteine, die den Radverkehr in einer Stadt voranbringen.

Wegen seiner guten Fahrradinfrastruktur landet Wettringen häufig auf Platz 1 des ADFC-Fahrradklimatests. Hier radelt Bürgermeister Berthold Bültgerds durch seine Gemeinde. Foto: Jürgen Bröker, wsp

Wegen seiner guten Fahrradinfrastruktur landet Wettringen häufig auf Platz 1 des ADFC-Fahrradklimatests. Hier radelt Bürgermeister Berthold Bültgerds durch seine Gemeinde. Foto: Jürgen Bröker, wsp

Ist das alles für ländliche Kommunen einfacher? 
In ländlichen Regionen sind im allgemeinen etwas weniger Leute mit dem Rad unterwegs, zeigen Daten. Das liegt auch daran, dass die Wege für die alltäglichen Erledigungen wie Einkaufen, Freizeit und Schule oft länger sind als in der Stadt. Im ländlichen Bereich ist es aber ein Vorteil, dass der Radverkehr wegen der geringeren Bebauung nicht so sehr in Konkurrenz zum Autoverkehr steht. Dort ist häufig mehr Platz. Das erleichtert die Planung von Radwegen.

Besondere Radverbindungen sollen die Radschnellwege werden. Warum dauert es so lange diese zu bauen?
Bei den Radschnellwegen ist es ja fast so, als würde man eine Autobahn planen. Daher dauert allein das Genehmigungsverfahren schon sehr lange. Es müssen verschiedene Träger öffentlicher Belange berücksichtigt werden, es muss in manchen Fällen eine Umweltprüfung gemacht werden. Bürger und Träger öffentlicher Belange können Einspruch erheben. Manche Flächen sind vielleicht nicht verfügbar, weil sie noch in privater Hand sind. Solche Verfahren brauchen Zeit, oft eben einige Jahre. Und dann kommt noch hinzu, dass der Fachkräftemangel nicht nur in den Planungsverfahren zu Verzögerungen führt. Auch beim Bau gibt es Probleme. Manche Kommunen finden dafür schlicht keine Firmen.

Sehen Sie Potenzial, das zu beschleunigen?
Eine Antwort ist natürlich, das nötige Personal auszubilden und anzuwerben. Und dort, wo es nötig ist, auch mehr Menschen einzustellen. Ansonsten könnte auch die Abstimmung über Städtegrenzen hinweg verbessert werden. Sinnvoll wäre es, ausgewählten Projekten eine sehr hohe Priorität zuzuweisen, damit diese schneller vorankommen.

Radschnellwege bieten viele Vorteile für Fahrradfahrer. Foto: pixabay.de

Radschnellwege bieten viele Vorteile für Fahrradfahrer. Foto: pixabay.de

Braucht es überhaupt Radschnellwege?
Es gibt wirklich gute Beispiele für den Erfolg von Radschnellwegen aus dem Ausland. In den Niederlanden hat man zum Beispiel Radschnellwege mit Mitteln gebaut, die dafür vorgesehen waren, das Stauaufkommen zu reduzieren. Und es hat funktioniert. Und auch die Potenzialanalyse beispielsweise für den RS 1 hat gute Prognosen für eine Reduzierung des Autoverkehrs geliefert.

Müssen diese aber mit so aufwändigen Standards gebaut werden?
Ich halte das für angemessen. Es handelt sich ja um eine Radverkehrsverbindung der höchsten Kategorie. Das Argument, der Bau sei zu teuer, zieht nicht. Ein Kilometer Radweg kostet nur einen Bruchteil von dem, was ein Kilometer Autobahn verschlingt. Da könnte noch ein Vielfaches an Radschnellwegen gebaut werden. Wichtig ist, dass auch solche besonderen Wege eingebettet sind in ein gutes Radwegenetz in der jeweiligen Stadt. Ein Radschnellweg nützt wenig, wenn die Menschen nicht gut und sicher dorthin kommen. Ich glaube zudem, dass die Realisierung zum Beispiel des Radschnellwegs 1 wichtig ist, um eine Referenzstrecke zu haben.

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Welche Kriterien müssen Radwege erfüllen, damit sie genutzt werden?
Ich brauche zunächst eine Strecke, die eben, rutschfest und sicher ist. Sie muss breit genug markiert sein. Auch die Wartezeiten für Radfahrende an Ampeln oder an anderen Stellen dürfen nicht zu lang sein. Aber es geht nicht nur um die Strecke – und das wird oft vergessen. Mindestens genauso wichtig sind auch sichere Stellplätze etwa am Arbeitsplatz oder am Bahnhof, wenn ich noch weiterfahren muss. Und auch an meiner Wohnung muss ich gut ans Rad kommen.

Was bedeutet das für die Planung des Radverkehrs?
Radverkehr sollte als System gefördert werden. Es geht nicht nur um den Radwegebau, auch wenn das natürlich immer im Vordergrund steht. Wir brauchen zum Beispiel auch Abstellmöglichkeiten. Sobald eine Stadt einen gewissen Radanteil am Verkehrsaufkommen hat, muss sie sich auch massiv darum kümmern, wo diese abgestellt werden können. Das sieht man ja zum Beispiel in Münster, dort stehen viele Fahrräder einfach auf Gehwegen und behindern den Fußverkehr.

Prof. Iris Mühlenbruch von der Hochschule Bochum. Foto: privat

Prof. Iris Mühlenbruch von der Hochschule Bochum. Foto: privat

In Bochum wird nun eine Fahrrad-Professur eingerichtet, was kann das bewirken?
Ein wesentlicher Grund ist der Fachkräftemangel. Menschen, die Radverkehrsanlagen fachlich fundiert planen können, fehlen zum Beispiel in den Kommunen oder bei Straßen.NRW. Wir wollen mit der Ausbildung junger Menschen aus dem Bau- und Umweltingenieurwesen und dem Studiengang „Nachhaltige Entwicklung“ zumindest einen Teil dieser Lücke füllen. Hierfür braucht es einen eigenen Lehrstuhl. Die Studierenden können dann einen Schwerpunkt im Bereich Radverkehr wählen. Die neue Professur wird für 10 Jahre vom Verkehrsministerium NRW gefördert. Die Hochschule Bochum wird mit angrenzenden Städten, insbesondere aber mit der Stadtverwaltung Bochum kooperieren. Wir erhoffen, damit den Radverkehr in der Region, aber auch darüber hinaus zu fördern.

Welche Forschungsschwerpunkte werden gesetzt werden? 
Wir haben ja schon jetzt einige Forschungsprojekte neben der Planung und dem Entwurf von Radverkehrsanlagen. In meinem Fachgebiet ist es zum Beispiel die Wirkungsmessung und Evaluation. Da haben wir zuletzt etwa in Dortmund untersucht, wie sich die Einrichtung von Fahrradstraßen auswirkt zum Beispiel auf den gesamten Radverkehr, das Anwohnerverhalten und auf die Geschwindigkeit der Kfz. Unsere Zählungen vor und nach der Einrichtung einer Fahrradstraße zeigten eine Zunahme des Radverkehrs um 20 bis 40 Prozent. Gleichzeitig nahm der Kfz-Verkehr in dieser Straße leicht ab.

Das spricht für die Einrichtung von Fahrradstraßen.
Ich bin ohnehin großer Fan von Fahrradstraßen. Diese sind im Vergleich zu Radschnellwegen viel leichter, schneller und günstiger umzusetzen. Und wenn sie gut gemacht sind, dann können sie eine sehr hochwertige Radverkehrsanlage sein und einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen.

Interview: Jürgen Bröker, wsp

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