In Münster kamen Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Kirche zusammen, um an die Opfer der Pogrome und des Holocaust zu erinnern. Foto: Bischöfliche Pressestelle/Ann-Christin Ladermann
09.11.2023

Gedenken an Pogrome

Mit Lesungen, Schweigezügen und digitalen Projekten haben zahlreiche Kommunen an die Novemberpogrome im Jahr 1938. In diesem Jahr stand die Erinnerung unter dem Eindruck des Nahostkonflikts. In Dortmund und Paderborn wurden digitale Rekonstruktionen der vor 85 Jahren zerstörten Synagogen gezeigt.

Möglich machte dies ein Projekt des World Jewish Congress (WJC) in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Israelitischen Religionsgesellschaft in Österreich. An 20 Orten in Deutschland und Österreich erstrahlten am 9. November Projektionen von in der Pogromnacht zerstörten Synagogen. Die Initiative des WJC als Teil der #WeRemember-Kampagne schaffe durch Virtual Reality moderne Formate der Erinnerungskultur und gebe einen realen Einblick in das vielfältige jüdische Leben in Deutschland und Österreich, das von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde, teilt der Zentralrat der Juden in Deutschland.


Stellten die Kampagne #NieWiederIstJetzt und den 10-Punkte-Plan gegen Antisemitsmus der Landesregierung in Düsseldorf vor: die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ministerpräsident Hendrik Wüst und Mona Neubaur, stellvertretende Ministerpräsidentin (v.l.). Foto: Land NRW/Josua Dunst

Die Landesregierung will mit einem 10-Punkte-Plan den Kampf gegen Antisemitismus und Israel-Hass in Nordrhein-Westfalen stärken. In Düsseldorf hat das Land den Plan und die Kampagne #NieWiederIstJetzt vorgestellt. Lesen Sie mehr


Nationalsozialisten und deren Anhänger plünderten im November 1938 jüdische Gebetsräume und Synagogen und steckten diese in Brand. Auch vor anderen Versammlungsräumen, Geschäften, Wohnungen und jüdischen Friedhöfen machten sie nicht Halt. Hunderte Juden wurden ermordet. Damit die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten, gibt es jedes Jahr vielerorts Erinnerungsveranstaltungen. „Wir tragen Verantwortung, entschlossen gegen jede Form von Antisemitismus aufzustehen. Wir müssen alles tun, damit Jüdinnen und Juden sicher sind und ihre Kultur offen und ohne Angst pflegen können. Die digital rekonstruierten Synagogen zeigen, was auf dem Spiel steht“, sagt die Präsidentin des Deutschen Bundestages Bärbel Bas.

Mehr antisemitische Vorfälle

Die Synagoge in Paderborn wurde 1882 als gelber Ziegelsteinbau im byzantinischen Stil errichtet. Das markante achteckige Gebäude brannte im Zuge des Pogroms bis auf die Grundmauern nieder. Wegen Brandgefährdung des benachbarten Krankenhauses zündeten fanatische Nationalsozialisten das Gotteshaus jedoch erst am Mittag des 10. November an, nachdem die Feuerwehr entsprechende Schutzvorkehrungen getroffen hatte, erklärt das Stadtarchiv Paderborn. 1933 lebten noch 273 Juden in der Stadt. 1941 waren es nur noch 68, die die Nationalsozialisten in den nachfolgenden Monaten deportierten. Nach 1945 kehrten einige der Überlebenden nach Paderborn zurück. Seit 1959 verfügt die Jüdische Kulturgemeinde Paderborn, die heute 74 Mitglieder zählt, über eine neue Synagoge.

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Die Erinnerungsveranstaltungen in der Region stehen in diesem Jahr unter dem Einfluss des Krieges im Nahen Osten. Seit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober, bei dem mehr als 1400 Israelis getötet und mehr als 200 weitere verschleppt wurden, ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Deutschland stark gestiegen. Vor diesem Hintergrund sei die Erinnerung wichtiger denn je, heißt es aus einigen Städten und Gemeinden.

Aktueller Bezug

„Antisemitische Taten und Worte sind Angriffe auf unsere ganze Gesellschaft“, sagte Paderborns Bürgermeister Michael Dreier. Und in Münster erklärte Pfarrer Martin Mustroph, geschäftsführender Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit: „Wir dürfen nicht schweigen, wir müssen unsere Stimme erheben, um unsere Erinnerung und unsere Wut, unser Entsetzen und unsere Scham, unser Mitgefühl und unsere Solidarität auszudrücken.“

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Auch andernorts waren die aktuellen antisemitischen Vorfälle Thema. „Mit Entsetzen müssen wir feststellen, dass es Menschen in Deutschland gibt, die sich nicht eindeutig von diesen furchtbaren Verbrechen distanzieren wollen oder die sich sogar mit den Tätern solidarisieren. Antisemitischer Hass spaltet unsere Gesellschaft und gefährdet unsere Demokratie“, schrieb etwa die Demokratische Initiative Gelsenkirchen, ein Zusammenschluss verschiedener Parteien, Vereine und Verbände der Stadt. In Gelsenkirchen hat das Gedenken eine lange Tradition, bereits seit 1964 versammeln sich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, um an die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu erinnern.

jüb, wsp

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