Karen Duve - Fräulein Nettes kurzer Sommer. Foto: Buchcover Verlag Galiani Berlin
14.04.2020

Liebe und Intrige

BUCHTIPP: Die Bestsellerautorin Karen Duve legt mit „Fräulein Nettes Kurzer Sommer“ einen Roman über die junge Annette von Droste-Hülshoff vor. Darin zeichnet sie das Porträt einer emanzipierten Persönlichkeit, schreibt WESTFALENSPIEGEL-Literaturkritiker Walter Gödden in Ausgabe 6/2018.

Sie habe sich einige dichterische Freiheiten erlaubt, aber nur wenige, versichert Karen Duve im Vorspann ihres neuen Romans „Fräulein Nettes kurzer Sommer“. Ansonsten aber habe sie sich streng an die Fakten gehalten. Im Anhang des Buchs hat sie sämtliche Quellen aufgeführt, die sie zurate gezogen hat – eine ellenlange Liste mit fast 200 Titeln auf 13 Seiten.

Muss man es so genau nehmen? Ja, unbedingt. Denn die Zeitumstände – wir reden hier über die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts – waren kompliziert. Will man sie heute verstehen, muss man die Historie jener Zeit und auch ihre Technikgeschichte rekapitulieren. Und schließlich: Hier geht es um Annette von Droste-Hülshoff und damit um eine Ikone der Dichtung, um deren Nachleben sich die Forschung und immer wieder auch die Romanwelt bemüht.

Schwester der Droste im Geiste

In jüngster Zeit erschienen gleich drei umfangreiche belletristische Werke über die Autorin, Zsuzsa Bánks „Schlafen werden wir später“ (siehe Westfalenspiegel 2/2017), Tanja Kinkels „Grimms Morde“ (2017) und eben jetzt Karen Duves „Fräulein Nettes kurzer Sommer“. Duves Werk widmet sich nicht dem gesamten Leben der Droste, sondern auf fast 600 Seiten (!) nur einer kurzen Zeitspanne, dem Bökendorfer Sommer 1820. Die angehende Dichterin war damals 23 Jahre alt. 

Büste der Droste vor der Burg Hülshoff in Havixbeck. Foto: Gila Hanssen / pixelio.de

Büste der Droste vor der Burg Hülshoff in Havixbeck. Foto: Gila Hanssen / pixelio.de

Und, ja, Karen Duve darf im Buchtitel „Fräulein Nette“ sagen. Sie ist, wie einst Sarah Kirsch, eine Schwester der Droste im Geiste. Für Duve ist die Droste nicht nur jemand, die „toll schreiben“ kann. Sie schätzt auch die Widerständigkeit der älteren „Kollegin“, die immer versucht habe, ihren eigenen Kopf durchzusetzen. Auch bei ihrer literarischen Arbeit sei die Droste kompromisslos und unbeirrbar gewesen. Sie habe nichts Altbekanntes neu aufwärmen, sondern stets etwas Eigenes gestalten wollen. Man liegt wohl nicht schief, wenn man hier gewisse Gemeinsamkeiten zwischen beiden Autorinnen auszumachen vermeint. 

Schwerer Stand der jungen Droste

Es geht Duve aber gar nicht so sehr um die frühen Dichterjahre des westfälischen Landfräuleins, sondern um den schweren Stand, den die junge Droste in ihrer Familie und im engsten Bekanntenkreis hatte. Hier kommen ihre mütterlichen Verwandten, ihre Onkel, Tanten und Cousinen von Haxthausen aus dem Paderborner Umland ins Spiel. Im Sommer war es üblich, dass man sich auf dem Bökerhof bei Brakel traf. Hier pflegte man romantische Bräuche und Rituale – aber auch manche Liebelei. „Nirgends küsst sich so gut wie in den Treibhäusern von Bökendorf“, heißt es in einer zeitgenössischen Quelle. 

Es war – bei aller romantischen Verspieltheit – ein enger Familienverbund, in den die junge Droste regelrecht hineingezwängt wurde. Da waren ihre weltläufigen und „studierten“ Onkel, die eine junge Dame, die eben erst dem Teenageralter entwachsen war, nicht für voll nahmen. Da waren deren Studienkollegen, die sie in den Semesterferien von Göttingen aus ins Bökendorfer Idyll mitbrachten und die sich dort hofieren ließen. Und da war Wilhelm Grimm, der Märchensammler und Germanist, der schon damals seine Berühmtheit vor sich hertrug. Und wie in einer Boulevardkomödie (oder eher Tragödie) betraten alle gleichzeitig im Sommer 1820 die Bökendorfer Bühne, um hier Freundschaften zu pflegen und der Romantik zu huldigen.

Falsches Spiel der Verwandtschaft

Aber auch, um eine Intrige anzuzetteln. Die Droste hatte sich damals in den Göttinger Studenten Heinrich Straube verguckt, dem ein nicht unbedeutendes Dichtertalent bescheinigt wurde. Doch er litt an zwei „Gebrechen“ (Duve): Er war mittellos und gehörte nicht dem Adelsstand an. Ganz anders dagegen der allseits umschwärmte August von Arnswaldt. Auch ihm schenkte „Fräulein Nette“, zumindest temporär, ihr Herz. Er stieg denn auch später die Karriereleiter empor, während Straube verarmte. 

Haxthausen, Straube und Arnswaldt ersannen den Plan, die Liebe der Droste zu Straube auf die Probe zu stellen. Arnswaldt machte ihr Pseudo-Avancen – und die Droste fiel darauf herein. Sie war blamiert und wurde Opfer hämischen Spotts. Fast zwei Jahrzehnte mied sie weitere Besuche bei ihren Paderborner Verwandten, brach den Kontakt fast vollständig ab. 

Das Geburtshaus der Annette von Droste-Hülshoff in Havixbeck. Foto: Thomas-Max Müller / pixelio.de

Das Geburtshaus der Annette von Droste-Hülshoff in Havixbeck. Foto: Thomas-Max Müller / pixelio.de

War das falsche Spiel ihrer Verwandten eine Retourkutsche? Wie Duve materialreich belegt, hatte die Droste damals im Familienkreis einen schweren Stand. Sie war als „Nervensäge“ (Duve) verschrien und galt als schwarzes Schaf der Familie. Besonders gefürchtet war ihre scharfe Zunge. „Wenn die Künstlerfreunde ihres Onkels August nach Bökerhof kommen, über Kunst und Politik sprechen, mischt sie sich ungefragt ein. Wilhelm Grimm, den sie mit dem Spitznamen Unbill bedacht hat, bekommt bereits Panik, wenn er sie nur sieht.“ Für Duve ist die junge Droste ein Enfant terrible. Sie sei beständig aus der Rolle gefallen und habe sich partout nicht fügen wollen. 

Die Bökendorfer Episode umfasste zwar nur eine kurze Zeitspanne, ihr wurde aber eine nachhaltige Bedeutung zugesprochen. Die Forschung sprach später von der „Jugendkatastrophe“ der Dichterin. Diese habe bewirkt, dass die Droste von weiteren Liebesbeziehungen Abstand nahm und für die Literatur „erweckt“ wurde. Es waren solche, eher chauvinistischen Betrachtungsweisen, mit denen Duve in ihrem Roman aufräumt. Sie zeichnet nicht das Porträt einer leidenden jungen Frau, sondern das einer emanzipierten Persönlichkeit, die darunter litt, dass sie von ihrer Umgebung unterdrückt und missverstanden wurde. Duve wurmt es, dass die Droste – bis heute – noch immer biedermeierlich verniedlicht wird. Um dieses konservative Bild zu korrigieren, investierte sie gut zwei Jahre intensiver Recherche in ihr Buch. 

„Eine vergnügliche Geschichtsstunde

„Fräulein Nettes kurzer Sommer“ ist jedoch mehr als ein „Charakterbild“, um diesen altertümlichen Terminus zu bemühen. Der Roman bietet ein lebendiges Zeitporträt, das den Leser nicht nur mit den gesellschaftlichen Konventionen des katholischen westfälischen Landadels bekannt macht, sondern auch mit den Moden der Zeit, Sitten und Gebräuchen, dem Leben an der Universität. Es entsteht das Porträt einer Welt, die im Zerfall begriffen war. Neben den Brüdern Grimm treten Hoffmann von Fallersleben, Brentano, der junge Heine, der Dichter Kotzebue und sein Mörder Sand, Schopenhauer und Hegel auf, ebenso Goethe, der von den damaligen Zeitgenossen mal verehrt, mal abgelehnt wurde. „Es ist modernes Namedropping und eine vergnügliche Geschichtsstunde“, resümierte „Spiegel Online“.

Eben solche Anleihen und ein gelegentlich scharfer Witz machen aus „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ ein typisches Duve-Buch. „Karen Duve [ist] bekannt für pointierte, bissige bis kämpferische Töne – zumal, wenn es um Frauen geht und den ihnen zugewiesenen Platz in der Welt. Mit der Droste hat sie eine Figur gefunden, an der sie ihren Hang zur Satire, ihr Engagement und ihre Lust am üppigen Erzählen gleichzeitig ausleben kann“, hieß es im Deutschlandfunk. Kurzum: Duve hat das umgesetzt, was seinerzeit einmal Sarah Kirsch so treffend formulierte: „Der Droste würde ich gerne Wasser reichen.“ 

Walter Gödden

Dieser Beitrag erschien zuerst in. Heft 6/2018. Zur Inhaltsübersicht gelangen Sie hier.

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