Die Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger lehrte und forschte seit 1997 an der Universität Münster. 2018 wechselte die vielfach ausgezeichnete Expertin für die Frühe Neuzeit als Rektorin an das Wissenschaftskolleg zu Berlin. Foto: Wissenschaftskolleg zu Berlin/Maurice Weiss, Ostkreutz
14.09.2023

„Sie sprachen von einem Wunder“

Vor 375 Jahren wurde der Westfälischer Friede beschlossen. Die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger erklärt, warum er so wichtig war – und bis heute beispiellos ist.

Frau Prof. Stollberg-Rilinger, warum wird der Friedensschluss von 1648 bis heute gefeiert?
Der Westfälische Friede ist in vieler Hinsicht beispiellos. Zum einen, weil bei dem Friedenskongress in Münster und Osnabrück mehr unterschiedliche Akteure involviert waren als je zuvor. In diesem Ausmaß hatte es so etwas noch nie gegeben. Zum anderen, weil er einen unvorstellbar verheerenden Krieg beendete – besser gesagt, nicht einen einzigen Krieg, sondern eigentlich ein Bündel miteinander verflochtener Kriege, die alle auf dem Boden des damaligen Deutschland ausgetragen worden waren. Die Verträge umfassten zweierlei: eine Verfassungsordnung für das römisch-deutsche Reich und eine zwischenstaatliche Friedensordnung. Einen solchen allgemeinen Frieden hatten viele gar nicht mehr für möglich gehalten. Die Zeitgenossen sprachen von einem Wunder.

Wie kam es 1618 zum Dreißigjährigen Krieg?
Die Zeit um 1600 war eine Krisenzeit. Vieles kam zusammen: Klimaverschlechterung, Ressourcenverknappung, Bürgeraufstände, antijüdische Pogrome und die sich verschärfenden Konflikte zwischen Katholiken, Lutheranern und Calvinisten. Die Institutionen im Römisch-deutschen Reich, die solche Konflikte friedlich beilegen sollten, wie Reichstage und -gerichte, kamen unter dem Druck dieser Krisen an ihre Grenzen. Der Auslöser für den Krieg war ein Konflikt in Böhmen. Dessen katholischer Landesherr verstieß gegen die verbriefte Religionsfreiheit des Adels und der Städte. Es kam zum Aufstand der Protestanten, der mit Gewalt niedergeschlagen wurde. Beide Seiten suchten Hilfe bei Glaubensgenossen in- und außerhalb des Reiches. Der Kurfürst von der Pfalz, der von den böhmischen Protestanten zum König gewählt worden war, gewann etwa die Unterstützung des Königs von Dänemark. Nach und nach schwappte so der regionale Konflikt ins gesamte Reich über. Hinzu kam, dass sich die Konflikte innerhalb des Reiches mit den mächtepolitischen Rivalitäten in Europa vermischten, so dass auch die beiden großen Mächte Schweden und Frankreich gegen den Kaiser in den Krieg eintraten.

Wie ging es der Bevölkerung Westfalens in den Kriegsjahren?
Manche Gebiete, unter anderem die geistlichen Territorien Münster und Osnabrück, waren weitgehend verschont geblieben, während sich um sie herum eine Schneise der Verwüstung durch das Reich zog. Die riesigen Heere standen sich meistens nicht in offenen Feldschlachten gegenüber, sondern belagerten die Städte und zerstörten einander wechselseitig die Lebensgrundlagen. Sie verwüsteten die Länder, durch die sie zogen, und hinterließen verbrannte Dörfer, damit die gegnerischen Truppen, die ihnen nachsetzten, nichts mehr zu plündern fanden. Insgesamt kamen daher viel mehr Menschen durch Hunger und Seuchen ums Leben als durch die militärischen Aktionen.

Das Rathaus von Osnabrück, wo am 25. Oktober 1648 der Westfälische Friede verkündet wurde.Foto: Stadt Osnabrück/Janin Arntzen

Das Rathaus von Osnabrück, wo am 25. Oktober 1648 der Westfälische Friede verkündet wurde.
Foto: Stadt Osnabrück/Janin Arntzen

Was war letztlich der Auslöser für die Friedensverhandlungen?
Schon früh stiegen einzelne Akteure aus dem komplexen Kriegsgeschehen aus, während immer wieder neue hinzukamen. Für allgemeine Verhandlungen war die Zeit erst reif, als die Kraft der Beteiligten erschöpft, das Reich ausgeplündert und der Kaiser hinreichend geschwächt war. Da fanden sich die Hauptakteure bereit, auf multilateraler Ebene zu verhandeln. Zuerst mussten aber unzählige Präliminarien geklärt werden, bevor ab 1643 nach und nach die Gesandtschaften nach Münster und Osnabrück kamen.

Weshalb gerade Münster und Osnabrück?
Die beiden bischöflichen Residenzstädte waren vom Krieg weitgehend unberührt geblieben; sie waren relativ wohlhabend und lagen zudem nah genug beieinander, so dass man zu Pferd oder zu Fuß nicht länger als einen Tag brauchte, um Botschaften auszutauschen. Zwei Städte benötigte man wegen der konfessionellen Spaltung: In Münster verhandelten die kaiserlichen Gesandten mit den katholischen Franzosen, in Osnabrück mit den protestantischen Schweden und deren Verbündeten. Der Papst, der einen Nuntius als Vermittler zu den Katholiken in Münster schickte, weigerte sich, mit Protestanten, also Ketzern, zu sprechen. Das machte die Verhandlungen noch komplizierter, als sie sowieso schon waren. Denn während der ganzen fünf Jahre, die der Kongress dauerte, gab es nie einen Waffenstillstand. Die Parteien versuchten vielmehr weiterhin, ihre Verhandlungsposition durch militärische Erfolge zu verbessern.

Wie wurde verhandelt?
Die großen Monarchen kamen nie nach Westfalen, sondern ließen sich von Gesandten vertreten. Im Laufe der fünfjährigen Verhandlungen waren insgesamt um die hundert Gesandtschaften in Westfalen, und jede hatte ihr Gefolge dabei. Das reichte vom päpstlichen Nuntius bis hinunter zu einzelnen Städten und Schweizer Kantonen. Fragen von Rang und Status der Teilnehmer waren hoch umstritten, daher vermied man formelle öffentliche Zusammentreffen. Statusfragen waren deshalb so wesentlich, weil es darum ging, wer in Zukunft zum kleinen Kreis der souveränen Verhandlungspartner zählen würde und wer nicht. Denn Souveränität, das heißt völkerrechtliche Gleichberechtigung, war das neue Prinzip, das sich in Westfalen abzeichnete. So weit war es aber noch lange nicht.

Inwiefern?
Niemals saßen alle Beteiligten um einen Tisch herum, wie es heute bei Gipfeltreffen üblich ist. Man verkehrte vor allem bilateral und schriftlich, indem man Boten zwischen den Gesandtenquartieren hin und her schickte. Oder man traf sich informell, zum Beispiel scheinbar zufällig beim Spazierritt oder auf der Jagd. Die Vollmachten der Gesandten waren zudem nicht unbegrenzt, so dass sie sich für wichtige Verhandlungsschritte immer erst die Zustimmung ihrer Auftraggeber einholen mussten. Bei der damaligen Reisegeschwindigkeit konnte das Wochen dauern.

Im Rathaus von Münster wurde im Mai 1648 der Spanisch-Niederländische Frieden beschworen, durch den die Niederlande ihre Unabhängigkeit erlangten. Die Verhandlungen zuvor fanden im Rahmen des westfälischen Friedenskongresses statt.  Foto: Imago/Rüdiger Wölk

Im Rathaus von Münster wurde im Mai 1648 der Spanisch-Niederländische Frieden beschworen, durch den die Niederlande ihre Unabhängigkeit erlangten. Die Verhandlungen zuvor fanden im Rahmen des westfälischen Friedenskongresses statt.  Foto: Imago/Rüdiger Wölk

Was waren die wichtigsten Ergebnisse des Westfälischen Friedens?
Der Frieden regelte einerseits die Gebietsansprüche der beteiligten Mächte und sprach eine wechselseitige Amnestie für alle im Krieg begangenen Verbrechen aus. Vor allem aber regelte er die Verfassungsverhältnisse im Römisch-deutschen Reich. Die Rechte der Fürsten gegenüber dem Kaiser wurden wesentlich gestärkt; die protestantische und die katholische Konfession wurden rechtlich gleichgestellt. Aber alle konfessionellen Besitzstände wurden nun auf dem Stand des Jahres 1624 gleichsam eingefroren. Für die Reichsinstitutionen wurden Paritätsregeln festgelegt, so dass eine Konfession die andere nicht mehr überstimmen konnte, sondern beide Seiten gezwungen waren, sich friedlich zu einigen. In der rechtlich festgeschriebenen Religionstoleranz lag einerseits eine große Errungenschaft, andererseits waren damit Konflikte für die Zukunft keineswegs ausgeschlossen.

Welche Folgen hatte der Friedensschluss für Westfalen?
Es gab mehrere territoriale Regelungen, die Westfalen betrafen. So gewann Brandenburg-Preußen mit der Herrschaft über Minden in der Region einen Fuß in die Tür. Katholische Fürstbistümer wie Münster und Paderborn blieben als geistliche Herrschaften erhalten und durften nicht säkularisiert werden. Das hat für die konfessionelle Prägung Westfalens eine große Rolle gespielt.

Friedensjubiläum:

Münster und Osnabrück feiern

375 Jahre Westfälischer Friede

Können wir aus den Friedensverhandlungen Lehren für heutige Konflikte ziehen?
Aus der Geschichte kann man sicher nicht in dem Sinne lernen, dass man daraus unmittelbare Handlungsanweisungen ableiten könnte – schon gar nicht aus einer fernen Epoche wie dem 17. Jahrhundert. Dafür haben sich die Strukturen zu sehr verändert. Es schärft allerdings das Urteilsvermögen, wenn man nicht allein seine eigene Gegenwart kennt, sondern historische Vergleiche anstellen kann. In der Vergangenheit waren Friedensordnungen dann einigermaßen dauerhaft, wenn sie für alle Seiten akzeptabel waren und als gerecht empfunden werden konnten – und nicht schon den Keim für neue Konflikte legten. Zentral ist auch, dass man sich in einem Friedensvertrag auf Verfahren einigt, die es ermöglichen, Konflikte friedlich auszutragen. Und man braucht für die Friedensordnung mächtige Garanten, die ein Interesse daran haben, dass der Frieden erhalten bleibt.

Interview: Martin Zehren

Dieser Beitrag erschien zuerst in Heft 4/2023 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Probeabos kostenlose zwei Ausgaben unseres Magazin zu. Einfach hier klicken und bestellen.

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