Dr. Bertram Leder blickt sorgenvoll auf die Fichten in einem Waldstück bei Arnsberg. Foto: Jürgen Bröker
17.06.2021

Wald im Klimastress

Trockenheit und Hitze setzen den Bäumen zu. Der Borkenkäfer findet optimale Bedingungen zur Verbreitung vor. Ist der Wald noch zu retten?

Langsam fährt Gundolf Graf von Plettenberg seinen Geländewagen über holprige Waldwege hinauf zum Bärenberg tief im Sauerland. Schon vor 700 Jahren lebten seine Vorfahren hier in Lenhausen, einem Stadtteil von Finnentrop. Seit mehr als 300 Jahren bewirtschaften die von Plettenbergs den Wald rings um das familieneigene Schloss. Vielleicht auch schon länger. Aber ein solches Drama, wie es sich momentan im Wald abspielt, hat noch keine Generation vor dem Grafen und seiner Frau Alexa Gräfin von Plettenberg erlebt.

Hektarweise hat sich der Borkenkäfer in Nordrhein-Westfalens (NRW) Wälder hineingefressen. Das Landesumweltministerium spricht von einer „fortlaufenden Eskalation der Schadlage“. Forstleute schätzen, dass allein in den Trockenjahren 2018 bis 2020 (Stand September 2020) etwa 28 Millionen Kubikmeter Käferholz angefallen sind. Doch inzwischen ist nicht nur die Fichte betroffen. „Der Wald steht still und leidet“, sagt Dr. Bertram Leder, Leiter des Zentrums für Wald und Holzwirtschaft in Arnsberg. Sämtliche Baumarten darben nach Wasser, sind anfälliger für Krankheiten und Pilzbefall. Auch Eichen oder Buchen – der ganze Wald ist betroffen.

Preis für Fichtenholz fällt

Wie kann man ihm helfen, trotz der veränderten Klimabedingungen zu überleben? Darüber machen sich Waldbesitzer und Waldforscher gleichermaßen Gedanken. Beide suchen nach Lösungen. Die Motivation und die Herangehensweise ist allerdings sehr unterschiedlich. Waldbesitzer müssen von ihrem Wald leben, die Forschung nicht. Die Familie von Plettenberg hat in den vergangenen Monaten große Fichtenbestände wegen des Borkenkäfers gefällt. „Mindestens 30 Hektar hat sich der Käfer schon geholt“, sagt der Graf und lenkt den Geländewagen den letzten steilen Anstieg zum Bärenberg hinauf. Hier oben sieht man den Wald nicht mehr. Nicht vor lauter Bäumen, sondern weil er tatsächlich verschwunden ist. Kein sattes Grün, nur eine braune, kahle Fläche, auf der bis vor kurzem noch Fichten standen.

Schon jetzt haben viele Waldbesitzer Holzmengen aus ihren Flächen geholt, die eigentlich für die nächsten Jahre hätten reichen sollen. Dadurch ist zu viel Holz auf dem Markt. Das hat auch die Preise ruiniert. Fichtenstämme sind bis zu zwei Drittel weniger wert als noch vor einigen Monaten. „Der Markt ist gesättigt. Die Waldbesitzer wissen nicht, wie sie das Schadholz kostendeckend aus den Wäldern holen sollen“, erklärt Leder. Auch die Sägewerke sind mehr als ausgelastet. In ein paar Jahren könnte das anders aussehen. Denn das Holz, das jetzt verarbeitet wird, wird dann fehlen. „Wir erleben eine große Herausforderung nicht nur für die Waldbesitzer, sondern für die gesamte holzverarbeitende Industrie“, sagt Leder.

In Westfalens Wäldern sind große Mengen Holz angefallen, zugleich nehmen die Kahlflächen zu wie hier bei Arnsberg im Sauerland. Foto: Jürgen Bröker

In Westfalens Wäldern sind große Mengen Holz angefallen, zugleich nehmen die Kahlflächen zu wie hier bei Arnsberg im Sauerland. Foto: Jürgen Bröker

Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Der Borkenkäfer frisst munter weiter. „Es ist einfach nur traurig“, sagt Gräfin von Plettenberg. Sie deutet auf die Fichten, die am Rand der kahlen Fläche auf dem Bärenberg stehen. Ein roter Farbklecks auf den Stämmen zeigt, dass dort bald die nächste Rodung ansteht. „Die Markierung ist für das Lohnunternehmen. Die Mitarbeiter wissen dann, welche Bäume entnommen werden müssen“, sagt sie. Noch mehr Holz wird anfallen. Dabei stapeln sich die gefällten Stämme schon jetzt meterhoch auf den Poltern am Wegesrand.

Holzlagerung unter Folie

Die Stämme können nicht einfach im Wald bleiben. Vor allem dann nicht, wenn sie noch ihre Rinde tragen. Dann nutzt der Käfer diese für seine nächste Brut. Außerdem verschlechtert sich bei langer Lagerung die Qualität des Holzes. „Das drückt den Preis weiter“, sagt Alexa von Plettenberg. So genannte Nasslager, in denen die Stämme feucht gehalten werden, um sie besser zu konservieren, sind auch schon voll und kosten außerdem Geld.

Das Zentrum für Wald und Holzwirtschaft in Arnsberg erforscht daher unter anderem neue Lagermöglichkeiten. Zum Beispiel wird das Holz inklusive Käfer in Folie eingeschlossen. Nach wenigen Tagen ist der gesamte Sauerstoff innerhalb der Folie verbraucht. Der CO2-Gehalt liegt dann bei mehr als 30 Prozent. „In einer solchen Atmosphäre überlebt kein Schädling“, sagt Leder. Erste Tests stimmen ihn optimistisch. Nach einem Jahr Lagerung unter der Folie hatte das Holz eine Top-Qualität.

Niederschlag fehlt

Ob das den Waldbesitzern in Zukunft hilft, bleibt abzuwarten. Zumal auch die Folien Kosten verursachen. Ebenso wie die Aufforstung der vernichteten Flächen für nachfolgende Generationen. Derweil fallen die Fichtennadeln im Sauerland, in Ostwestfalen und anderswo weiter von den Bäumen. Zentimeterdicke braune Teppiche bilden sich unter den vom Käfer befallenen Fichten. Wenn man ganz leise ist, hört man die Nadeln rieseln. Es klingt fast wie leichter Regen. Doch genau der fehlt.

Schon 2018 war geprägt von neuen Hitze- und Dürrerekorden: Die Monate April bis August stellten die wärmsten sowie sonnenreichsten und zugleich niederschlagärmsten Monate seit Beginn der Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes im Jahr 1881 dar, heißt es im jüngsten NRW-Waldzustandsbericht. Auch 2019 und 2020 fiel vor allem im Frühjahr viel zu wenig Niederschlag. Mit fatalen Folgen für den Wald

Gundolf und Alexa von Plettenberg auf einer frischgerodeten Fläche mit Fichtenstämmen  Foto: Jürgen Bröker

Gundolf und Alexa von Plettenberg auf einer frischgerodeten Fläche mit Fichtenstämmen  Foto: Jürgen Bröker

„Durch den Klimawandel, speziell die deutliche Erwärmung, fehlt der Schnee insbesondere in den Mittelgebirgen zum Frühjahr, der die Böden zu Beginn der Vegetationsperiode mit Wasser sättigte. Kommen dann wie in den vergangenen Jahren noch ausgeprägte trockene Wochen im April bis zum Juni hinzu, ist der Trockenstress für den Wald groß“, sagt auch Prof. Dr. Andreas Schulte, Inhaber des Lehrstuhls für Waldökologie, Forst- und Holzwirtschaft an der Universität Münster.

150.000 Waldbesitzer in NRW

Der Wald benötigt Hilfe, oder etwa nicht? Manch ein Forscher glaubt, dass sich der Wald selbst helfen sollte. „Wenn wir den Wald sich selbst überlassen und auch den Käfer fressen lassen, wie er will, wachsen natürlich irgendwann auch auf diesen Flächen wieder Bäume. Aber welche sind das und wie lange wird es dauern? Für uns Waldbesitzer stellt sich dann die Frage, wovon wir in der Zwischenzeit leben“, sagt Alexa von Plettenberg. Als Vorsitzende des Vereins der Waldbesitzerinnen in NRW kennt sie auch die Nöte ihrer Kolleginnen. Einige geben ihren Betrieb sogar schon auf und verkaufen ihre Flächen.

Der Privatwald ist in NRW weit verbreitet. In keinem anderen Bundesland ist sein Anteil an der gesamten Waldfläche so groß wie in NRW, nämlich 63 Prozent. Rund 150.000 Waldbesitzer bewirtschaften etwa 585.000 Hektar Privatwald. Viele von ihnen fühlen sich in der Krise alleingelassen. Dabei dient ihr Wald der gesamten Gesellschaft.

Wald leistet Klimaschutz

Wald liefert einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Jeder Hektar absorbiere im Jahresdurchschnitt acht Tonnen CO2, teilt der Waldbauernverband NRW mit. Die Waldbesitzer fordern daher eine „angemessene Honorierung“ dieser Klimaschutzleistungen. Für eine bessere Anerkennung der Ökosystemleistungen des Waldes will sich auch die NRW-Landesregierung in Berlin starkmachen. Außerdem plane das Umweltministerium Vereinfachungen bei der Antragstellung und Auszahlung im Rahmen der Förderprogramme für die Wald- und Holzwirtschaft, heißt es aus Düsseldorf. Für die Bewältigung der Schäden und die „Klimastabilität der Wälder“ hat die Landesregierung 2020 die Finanzmittel auf insgesamt über 57 Millionen Euro aufgestockt. Geld, das Waldbesitzern und Wäldern helfen soll.

Die „grünen Lungen“ sind Erholungsgebiet für Millionen Menschen. Eine Dienstleistung, die jeder Bürger übrigens bei seinen Spaziergängen oder Radtouren kostenlos in Anspruch nehmen darf. Die Waldbesitzer pflegen die Wege und sorgen für Sicherheit im Wald. „Und trotzdem erleben wir, dass Waldarbeiter, die Bäume wegen Schädlingsbefall fällen müssen, von einzelnen Besuchern teilweise übel beschimpft werden“, sagt Alexa von Plettenberg. Auch die Missachtung von gesperrten Wegen nehme immer mehr zu.

Anpflanzversuche sollen Aufschluss darüber geben, welche Baumarten mit dem Klimastress besser zurechtkommen. Foto: Jürgen Bröker

Anpflanzversuche sollen Aufschluss darüber geben, welche Baumarten mit dem Klimastress besser zurechtkommen. Foto: Jürgen Bröker

Außerdem wird Waldbesitzern der Vorwurf gemacht, sie seien doch selbst schuld an der Misere. Schließlich seien es ja vor allem die vom Menschen angepflanzten Fichtenreinkulturen, die nun flächenweise dahingerafft werden. Doch ein großer Teil der nordrhein-westfälischen Wälder sind Nachkriegsaufforstungen. Durch den Krieg selbst oder durch Reparationshiebe waren viele Wälder zerstört. „Also hat man nach dem Zweiten Weltkrieg hier im Sauerland vor allem mit Fichtenreinbeständen die verwüsteten Flächen aufgeforstet. Man benötigte eine schnell wachsende Baumart für das Bauholz. Außerdem kam man an das Saat- und Pflanzgut der Fichten recht gut heran“, erklärt Leder.

Fichte als Brotbaum der Waldbesitzer

Die Fichte wurde zum Brotbaum der Waldbesitzer. Ihr Holz ist gut zu verarbeiten und vielseitig einsetzbar und es wächst schnell. Doch bald gehören großflächige, gleichaltrige Fichtenreinbestände unter diesen Klimabedingungen in Westfalen der Vergangenheit an, ist sich Forstwissenschaftler Schulte sicher.

Der Wald der Zukunft – wie kann er also aussehen? Bertram Leder hat schon eine Vorstellung davon. Ein paar Autominuten von seinem Büro entfernt wächst auf einer Parzelle ein solcher Wald. Hier stehen Douglasien neben Buchen, Lärchen, Fichten und dem Bergahorn in einem Mischbestand. Die größten Douglasien ragen mehr als 50 Meter hoch in den Himmel über dem Arnsberger Sauerland. Sie haben 100 Jahre und mehr auf der Rinde. Darunter wachsen andere Bäume nach, die sich ohne menschliche Hilfe angesät haben. Naturverjüngung nennt man das.

Entscheidungen in Unsicherheit

An anderer Stelle ragen einige Weißtannen aus dem Grau der abgestorbenen Fichten. „Fingerzeiger“ nennt sie Leder. Es gibt Anzeichen, dass sie mit den nun vorherrschenden Klimabedingungen besser zurechtkommen. Außerdem gibt es Anpflanzversuche, bei denen die Forscher auf bestimmten Flächen neue Baumarten setzen, um zu sehen, wie diese hier wachsen. Dabei geht es nicht nur um Versuche mit Baumarten aus Asien oder Nordamerika, sondern auch um den Erhalt der genetischen Vielfalt heimischer Arten.

Für Neupflanzungen empfiehlt Leder den Waldbesitzern auf Mischbaumarten zu setzen. So könnte das Risiko für große Verluste minimiert werden. Fällt eine Baumart aus, ist noch eine andere da. Kahlflächen werden vermieden, das schützt auch den Boden vor Erosion. Solche Überlegungen haben auch die von Plettenbergs. Auf einigen Flächen wollen sie Douglasien, Lärchen und trotz aller Schwierigkeiten auch wieder Fichten setzen. „Ich gebe die Fichte nicht auf“, sagt Gundolf von Plettenberg. Ob die Entscheidung richtig ist, wird sich erst zeigen, wenn seine Nachfolger den Wald bewirtschaften.

Auch die Wissenschaft kann die Fragen nach dem richtigen Weg bisher nicht beantworten. „Wir können uns nicht aus dem Fenster lehnen und zu den Waldbauern sagen: Pflanzt diese Bäume an, die werden in 50 Jahren richtig gutes Holz liefern und hier gut funktionieren. Das wissen wir nicht“, sagt Bertram Leder. Daher nennt er die Entscheidungen, die nun getroffen werden, „Entscheidungen in Unsicherheit“. Hinzu kommt: Der Wald wächst langsam – auch das ist Teil des Problems. Wald- und Holzwirtschaft lassen sich nicht innerhalb weniger Wochen umstellen. Mit dem, was die heutige Generation der Waldbesitzer anpflanzt, muss die folgende Generation weiter arbeiten. Und erst die Enkelgeneration wird daran wirklich verdienen. Trotzdem: „Wir müssen jetzt anfangen, etwas zu ändern“, sagt Leder. Denn viel Zeit scheint die Klimakrise dem Wald nicht mehr zu lassen.

Jürgen Bröker

Dieser Beitrag erschien zuerst in Heft 5/2020 des WESTFALENSPIEGEL.

Der Wald im Klimastress

Unser Dossier zur Auswirkung der Klimakrise auf unsere Wälder.

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